Die baskische Befreiungsorganisation ETA gibt ihre Auflösung bekannt

Mythenbrecher

Von Stefan Natke

Am 3. Mai 2018 hat die baskische Befreiungsorganisation ETA (Euskadi Ta Askatasuna – Baskenland und Freiheit) in einem Schreiben die „vollständige Auflösung ihrer Strukturen“ bekanntgegeben. Damit kommt die fast 60-jährige Existenz der ETA, die sich im Juli 1959 in Bilbao gegründet hatte, zu ihrem Ende.

Die bürgerlichen Medien in Spanien, Frankreich und auch hier bejubeln die Auflösung der „letzten Terrorgruppe in Europa“. So einfach ist es allerdings nicht, die Bedeutung der ETA allein auf ihre Anschläge und bewaffneten Aktionen zu reduzieren. Ohne den Kontext zu betrachten, in dem diese stattgefunden haben, bleiben es rein polemische und unwissenschaftliche Betrachtungen, die der Organisation nicht gerecht werden.

Die Gründung der ETA fällt Ende der 50er Jahre in eine Zeit, in der die faschistische Franco-Diktatur in Spanien den kompletten Staatsapparat und die ihm untergeordneten Strukturen mit eiserner Hand dominierte. Die PNV (Baskisch-Nationale Partei), die im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republik gegen Franco gekämpft hatte, aber im Wesentlichen die baskische Bourgeoisie vertritt, war verboten, gelähmt und hatte ihre politische Führung im Exil in Paris. Von ihr gingen zu dieser Zeit noch nicht einmal Impulse für den Kampf um die nationale Souveränität des Baskenlandes aus, geschweige denn antifaschistische Aktivitäten. Aus der mit dieser Situation unzufriedenen Jugendorganisation der PNV, EKIN (Los, handelt! – tut! – macht!), gründete sich die ETA mit der selbstgestellten Aufgabe, die Untätigkeit zu durchbrechen und den Mythos der Unbesiegbarkeit des Franco-Regimes zu zerstören. Ziel war es, die baskische Bevölkerung aus der Lethargie zu reißen und wieder zu aktivem politischen Handeln zu bewegen.

Das war kein einfaches Unterfangen zu einer Zeit, in der alle politischen Parteien bis auf die Falange verboten waren und proletarische Organisationen – wie freie Gewerkschaften – in den Industriebetrieben des Baskenlandes nur „illegale“ Strukturen aufbauen konnten. Die ersten Aktionen waren rein symbolischer Natur. Das Hissen der verbotenen baskischen Flagge, der Ikurriña, auf Kirchtürmen und Berggipfeln sowie Flugschriften von hohen Gebäuden abzuwerfen oder nächtliches Anbringen von Wandgemälden, nehmen sich aus heutiger Sicht recht harmlos aus, fanden aber unter dem Einsatz von Leib und Leben statt. Die ersten bewaffneten Aktionen begannen Ende der 60er, wobei die spektakulärste wohl die am 20. Dezember 1973 war, als der designierte Franco-Nachfolger und Regierungschef der Diktatur, Luis Carrero Blanco, mit 1 800 Kilo Sprengstoff in seinem gepanzertes Fahrzeug haushoch in die Luft gesprengt und exekutiert wurde.

Diese Aktion der ETA wurde nicht nur im Baskenland, sondern in ganz Spanien und bei den in Frankreich im Exil lebenden Basken und Spaniern mit knallenden Sektkorken gefeiert. Der Mythos war gebrochen. ETA, die sich als antikoloniale und sozialistische Organisation verstand, orientierte sich damals an den Befreiungsbewegungen Algeriens und Kubas. Als politisch-militärische Organisation setzte sie keineswegs in erster Linie auf Anschläge. Sie baute illegale Gewerkschaften, Sprachschulen, Kulturvereine und politische Organisationen auf und definierte die Zugehörigkeit zum baskischen Volk im Unterschied zur PNV nicht über ethnische Abstammungsnachweise, sondern darüber, wer im Baskenland lebt und arbeitet. So wurde sie in den 1960er und 1970er Jahren zu einer anerkannten politischen Größe – sowohl im Baskenland als auch international. Jean-Paul Sartre schrieb anlässlich des Burgos-Prozesses, bei dem 1970 zahlreiche ETA-Mitglieder angeklagt wurden, einen Solidaritätsaufruf, in dem er die Organisation als antikoloniale Befreiungsbewegung in Europa bezeichnete.

Nach dem Tode Francos wurde in Spanien eine parlamentarische Monarchie eingerichtet. Franco hatte den Monarchen bereits im Vorfeld zu seinem Nachfolger bestimmt, die existierenden Strukturen des faschistischen Regimes wurden, abgesehen von einem neuen Parlament und der Zulassung von politischen Parteien und Gewerkschaften, nicht angetastet. Nicht ein einziger Richter, Militärangehöriger, Polizist oder Folterknecht des spanischen Gewaltregimes wurde vor Gericht gestellt oder auch nur angeklagt. Alle faschistischen Kriegsverbrecher blieben in „Amt und Würden“.

Der spanische Staat wird seit einer Umbenennung in Demokratie 1976 international als „Rechtsstaat“ gehandelt. Doch das Baskenland konnte auch weiterhin nicht frei über seine Zukunft entscheiden: Die in entsprechenden Referenden getroffene Ablehnung der spanischen Verfassung oder des Beitritts zur NATO ignorierte Madrid, die Einberufung eines Referendums zur Unabhängigkeit des Baskenlandes wurde mehrfach verboten. Angesichts dieser Situation entschied sich die ETA, auch nach einer Amnestie für viele Gefangene und im Exil lebende Mitglieder 1977, den bewaffneten Kampf weiter zu führen, da von demokratischen Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Baskenland keine Rede sein konnte.

Die 1982 gewählte sozialdemokratische Regierung unter dem Hoffnungsträger Felipe Gonzales ging nicht den erwarteten Weg. Sie wagte nicht mehr Demokratie, zog nicht die Kriegs- und Justizverbrecher des Franco-Faschismus zur Verantwortung, sondern tat das Gegenteil: Sie stellte ihrerseits Todesschwadronen auf (GAL), die mutmaßliche ETA-Mitglieder im In- und Ausland niedermetzelten und politische Aktivistinnen und Aktivisten, die legaler politischer Arbeit im Baskenland nachgingen, mit brutaler Gewalt einschüchterten.

Seitens Madrids hieß es in beabsichtigter Verkennung von Ursache und Wirkung immer wieder: „Das Problem ist die Gewalt, wenn auf deren Nutzung verzichtet würde, könne man über Alles reden.“

2011 erklärte die ETA ihren Gewaltverzicht und ein Jahr später die Bereitschaft zur Auflösung und Entwaffnung. Letztere war im vergangenen Jahr abgeschlossen worden. Eine politische Lösung des Konflikts ist allerdings nicht zu sehen, auf ein Entgegenkommen in der Gefangenenfrage seitens der spanischen Zentralregierung wartet man vergebens. Ein Referendum über die politische und gesellschaftliche Zukunft wird den Basken genauso wie den Katalanen weiter untersagt und die Repression gegen baskische Jugendliche nimmt in letzter Zeit sogar wieder zu. Die Jugendorganisation SEGI („Weitermachen“) ist weiterhin verboten, und Jugendliche werden mit dem Argument, ihr anzugehören, verhaftet und misshandelt.

Jetzt hat die ETA ihre Auflösung erklärt. In einer „letzten Erklärung an das baskische Volk“, die die Tageszeitung „Gara“ am vergangenen Freitag veröffentlichte, teilten die Mitglieder mit, dass alle Organisationsstrukturen aufgelöst worden seien. Die ehemaligen Kämpfer würden ihren „Kampf für ein wiedervereinigtes, unabhängiges, sozialistisches, baskisches und nicht patriarchales Euskal Herria (Baskenland) in anderen Bereichen fortsetzen“.

Am Tage nach der Erklärung waren in allen Teilen des Baskenlandes Transparente und Graffiti mit dem Anagramm der ETA und dem Schriftzug „Eskerrik asko“ („Danke für Alles“) und „Gora ETA“ („ETA lebe hoch“) zu sehen. In der Ausgabe der Tageszeitung „GARA“ vom 7.5. resümiert ETA in einem vor ihrer Auflösung gegebenen Interview: „Das Ziel, das wir erreichen wollten, haben wir nicht erreicht, aber der Weg dahin ist nicht versperrt.“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Mythenbrecher", UZ vom 11. Mai 2018



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Herz.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit