Als ich das erste Mal von ihm erfuhr, war das aus dem Munde von Friedrich Karl Kaul, der mir im Frühjahr 1978 nicht ohne Stolz davon berichtete, wie er gemeinsam mit Heinrich Hannover 1959/60 vor dem Landgericht Düsseldorf Angehörige der westdeutschen Friedenskomitees verteidigte. Es war zugleich der Beginn einer beruflichen und auch persönlichen Verbundenheit zwischen den beiden Anwälten. 1986 sah ich ihn mehr oder weniger zufällig während meiner Zeit an der Humboldt-Universität, als ihm dort die Ehrendoktorwürde verliehen wurde.
Heinrich Hannover erlebte als junger Mann noch die Schrecken des Krieges als Soldat, was ihn zu einer lebenslangen pazifistischen Überzeugung brachte. Immer wieder erinnerte er sich auch an die Kindheitstage in Anklam, wo er 1925 geboren und aufgewachsen war und eigentlich Förster werden wollte. Dann kann doch alles anders und er studierte Jura in Göttingen. Ab 1954 war er dann als Rechtsanwalt in Bremen tätig und übte diesen Beruf bis in die 1990er Jahre mit großem Engagement und Einsatz für seine Mandanten aus. Unter ihnen waren viele prominente Zeitgenossen, die sich nicht ohne Grund an diesen mutigen Strafverteidiger wandten. Beispielhaft seien Otto Schily, Hans Modrow, Helmut Kramer oder Daniel Cohn-Bendit genannt.
Geprägt wurde Hannover vor allem dadurch, dass er zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn die Pflichtverteidigung eines Kommunisten übernehmen sollte und dadurch ganz neue Erkenntnisse gewann, die ihn fortan dazu brachten, sich für Mandanten aus dem „linken Lager“ besonders einzusetzen. Dabei kam ihm zugute, dass er gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik in jenen Jahren auftrat, weshalb besonders Kriegsdienstverweigerer späterhin von ihm vertreten wurden. Viele politische Prozesse waren Gegenstand seiner Verteidigertätigkeit. Dazu gehörten auch Angeklagte aus dem Umfeld der RAF. Ein Mandat von Ulrike Meinhof scheiterte allerdings daran, dass sich beide über inhaltliche Fragen politischen Terrors nicht verständigen konnten. Auch hier war Heinrich Hannover konsequent: Gewalt war für ihn kein Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen. Einen zu Unrecht des Mordes Angeklagten konnte er vor der Bestrafung schützen. Solche Erfolge sind sicher Sternstunden eines jeden Strafverteidigers und dennoch nicht so häufig in der Praxis zu erleben.
Heinrich Hannover hat sich nie mit seinen beruflichen Erfolgen hervorgehoben und blieb immer bescheiden, verständnisvoll und auch mitfühlend. Bereits frühzeitig begann er auch Bücher und Aufsätze zu verfassen, die sich vor allem kritisch mit politischer Justiz im 20. Jahrhundert auseinandersetzten. Zu ihnen gehört „Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht“ (1967), „Klassenherrschaft und politische Justiz“ (1978, im UZ-shop erhältlich), „Terroristenprozesse – Erfahrungen und Erkenntnisse eines Strafverteidigers“ (1991) und seine Autobiografie „Die Republik vor Gericht“ (im UZ-shop erhältlich), die in zwei Bänden die „Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts“ (1998/99) dokumentierte. Zusätzlich war Heinrich Hannover Autor vieler Kinderbücher, die oft in mehreren Auflagen große Verbreitung fanden. Mir erzählte er bei einer Begegnung einmal, dass er sich wünschen würde, dass seine Sachbücher solche Verbreitung fänden wie die Kinderbücher. Selbst der Vorsitzende der Strafkammer eines Gerichts erbat nach einer Verhandlung von ihm ein Autogramm in einem seiner Kinderbücher. Diese schrieb er mit viel Fantasie und der großen inneren Verbundenheit zu Kindern. Da er selbst Vater mehrerer Kinder gewesen ist, fiel ihm das nicht schwer.
Mancher wird ihn vor allem noch in Erinnerung haben durch die Vertretung der Tochter von Ernst Thälmann, die als Nebenklägerin im Prozess gegen den des Mordes an ihrem Vater verdächtigen früheren SS-Angehörigen Wolfgang Otto auftrat. Ihm gelang es, erfolgreich ein Klageerzwingungsverfahren zu führen und dadurch zu erreichen, dass Anklage gegen Otto erhoben werden musste. Dies führte zunächst auch zu einer Verurteilung Ottos, die aber durch den Bundesgerichtshof späterhin aufgehoben worden ist. Auch wenn dieser in dem neuen Prozess freigesprochen wurde, ist das Verdienst Heinrich Hannovers bleibend. In der Praxis gelingt es nur sehr selten, Klageerzwingungsverfahren durchzusetzen.
Heinrich Hannover genoss großes Ansehen bei vielen Kolleginnen und Kollegen seiner Zunft. So war er Mitherausgeber der 1981 gegründeten Fachzeitschrift „Strafverteidiger“. Neben der Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität verlieh ihm die Bremer Universität zehn Jahre später ebenfalls diesen akademischen Grad. Auch war er Träger des in Verteidigerkreisen besonders geschätzten Max-Alsberg-Preises und des Hans-Litten-Preises. Einige seiner „Reden vor Gericht“ sind erhalten geblieben und wurden 2010 in einem Buch mit beigelegter CD veröffentlicht.
Am 14. Januar ist er in seinem Wohnort Worpswede bei Bremen gestorben.
Für uns jüngere Strafverteidiger war und ist Heinrich Hannover immer ein Vorbild. Auch künftige Generationen werden von seinen Erfahrungen profitieren und aus seinen Schriften viel über die ethisch-moralische Seite der anwaltlichen Tätigkeit lernen können.
Ich bin traurig, einen guten Freund und hochgeschätzten Kollegen verloren zu haben, aber auch dankbar dafür, dass ich ihn kennenlernen durfte.
Unser Autor ist Rechtsanwalt, verteidigte zahlreiche DDR-Bürger, die nach der Annexion von der bundesdeutschen Klassenjustiz verfolgt wurden und ist Autor von „Der Auschwitz-Prozess. Ein Lehrstück deutscher Geschichte“ (2013) und „Politische Justiz in der Ära Adenauer“ (2018) mit Erich Buchholz, beide erschienen im Eulenspiegel-Verlag und unter uz-shop.de erhältlich.