Anlässlich des 150. Jahrestags der Niederschlagung der Pariser Kommune sprachen wir mit Peter Wittig vom „SiDat! Simon Dach Projekttheater Berlin“ über dessen Inszenierung von Bertolt Brechts „Die Tage der Commune“.
UZ: Um diese Zeit vor 150 Jahren entstand und fiel die Pariser Kommune im Blutbad durch die Herrschenden. Eure Inszenierung des Brecht-Stücks „Die Tage der Commune“ gibt es bereits seit vier Jahren. Was hat euch dazu motiviert, dieses Stück 2017/18 auf den Spielplan zu packen, das wie viele Brecht-Stücke nur noch betont selten gespielt wird? Was macht es so aktuell?
Peter Wittig: „Spielplan“ ist gut. Ich wollte, wir könnten einen machen. Es gibt so viele Stücke, die für uns ein echtes Anliegen wären. Wir sind aber nur eine freie Gruppe. Wir schaffen ein Stück pro Jahr. Sofern Corona uns nicht eine Zwangspause diktiert.
Die Inszenierung „Tage der Commune“ war unser Beitrag zu 100 Jahren Roter Oktober. Zur Beziehung beider Ereignisse schlage nach bei Lenin.
Dass Brecht heute nicht gerade up to date ist und „Commune“ am allerwenigsten, muss im real existierenden Kapitalismus niemanden verwundern. Nach uns hat Johanna Schall das Stück 2019 in Konstanz inszeniert. 2008 gab es in New York eine hinreißende „Commune“-Performance als Straßentheater.
Was „Tage der Commune“ so aktuell macht? Das Stück handelt von den Menschenrechten. Was sind die wirklichen Menschenrechte? Sie beginnen beim Essen, beim Wohnen, beim Lieben! Diese Menschenrechte muss man sich leisten können. Wer sie sich nicht leisten kann, und das sind im Kapitalismus sehr viele, muss sie sich nehmen.
UZ: „Die Tage der Commune“ wurde erst nach Brechts Tod in den Druck gebracht, eine Finalisierung durch Brecht konnte folglich nicht mehr stattfinden. Das gibt dem Stück in der letzten Fassung einen leicht fragmentarischen Charakter. Wie seid ihr mit dieser Fassung umgegangen, wie eng sind die Anleihen an Manfred Wekwerths Inszenierung von 1962?
Peter Wittig: Die Erstveröffentlichung von „Commune“ fand statt in „Versuche Heft 15“, erschienen nach Brechts Tod, aber noch von ihm und Elisabeth Hauptmann zusammengestellt. Dass Brecht dieses Stück veröffentlicht sehen wollte, ohne es zuvor auf der Bühne ausprobiert zu haben, beweist, wie wichtig es ihm war.
Die Inszenierung von Wekwerth am Berliner Ensemble ist eine Theaterlegende. Sie war jedoch eine Bearbeitung. In seiner lesenswerten Autobiographie „Erinnern ist Leben“ erklärt Wekwerth unverblümt, das Stück umgeschrieben zu haben.
Wir machen die Berliner Erstaufführung der Originalfassung. Keine Frage, dass es bei der Länge des Textes ohne Kürzungen nicht geht. Aber wir lassen die Figuren unangetastet. Wir machen zum Beispiel aus Jean – dem Sohn vom Madame Cabet – keinen Berufsrevolutionär, der er nicht ist. Er lernt aber, wo er hingehört, das ist das Interessante! Wir spielen den originalen Schluss, bei dem die Bourgeoisie in Versailles sitzt und sich am Untergang der Kommunarden aufgeilt. Und die Schauspielmusik von Hanns Eisler ist zu hören – 1962 am BE blieben nur fünf Lieder.
UZ: In eurem 20-minütigen Zusammenschnitt des Stücks werden beispielsweise beim Lied „Keiner oder alle“ Bilder antifaschistischer Demos, hungernder Kinder und von Sweatshops eingeblendet. Ein eindeutiger Bogen hin zu einem „Wehrt euch!“ in Richtung des Publikums. Wie schätzt ihr die Rolle des Theaters hier ein? Was kann Theater zu fortschrittlichem Protest und zum Bewusstsein beitragen?
Peter Wittig: Danke, dass du unser 20-Minuten-Video erwähnst! Es entstand für die XXVI. Rosa-Luxemburg-Konferenz ist noch bis zum 28. Mai auf YouTube zu sehen.
Die erwähnten Bilder sind selbstverständlich auch Teil unserer Bühnenaufführung.
Was kann Theater? Es kann nicht die Welt ändern. Aber es kann Mut machen, sie zu ändern. Dazu gehört als allererstes, dass das Theater die Welt – heute und hier konkret: die kapitalistische Welt – so zeigt, dass der Zuschauer merkt: sie hat es nötig, geändert zu werden.
Das bürgerliche Mainstream-Theater vermittelt genau das Gegenteil. Von der Schule und den sogenannten Qualitätsmedien nicht zu reden.
Wir haben schon vor „Commune“ versucht, unseren Beitrag zu leisten. Zum Beispiel 2013: „Der Geldgott“ von Peter Hacks. Wir waren total verblüfft, wie vor allem junge Zuschauer sich für diese vergnügliche Lektion in politischer Ökonomie interessierten! Oder 2014: „Die Hellen Haufen“ nach Volker Braun, über die Treuhandverbrechen nach dem Anschluss der DDR
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UZ: Last but not least: Plant ihr, „Die Tage der Commune“ in näherer Zukunft wieder auf die Bühne zu bringen?
Peter Wittig: Aktuell möchten wir, sofern Corona uns lässt, Mitte Juni mit den Proben für einen neuen Brecht beginnen: „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“, erhoffte Premiere am 1. Oktober.
„Commune“ wieder spielen möchten unsere Schauspieler und Schauspielerinnen unbedingt! Nach zwölf ausverkauften Vorstellungen 2017/18 im Berliner Theater unterm Dach bin ich überzeugt, dass auch unsere Zuschauer das wollen.
Das Ganze ist leider eine Geldfrage. Theater kann sich nicht über die Eintrittspreise finanzieren, sonst könnten die Leute, für die wir spielen, sie nicht bezahlen. Und natürlich wird eine linke Truppe wie unsere nicht öffentlich gefördert. Zuschüsse vom Fraktionsverein der Linken im Bundestag oder von der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben großes politisches Gewicht, aber den finanziellen Hauptanteil tragen meine Frau – die Schauspielerin Margarete Steinhäuser, die in „Commune“ die Madame Cabet spielt – und ich vom Ersparten. Solange unser Geld eben reicht. Einen Förderverein haben wir auch. Aber der besteht zur Zeit immer noch mehrheitlich aus seinen Gründungsmitgliedern.