Zum NATO-Deal mit der Türkei

Muss Syrien zahlen?

Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in der NATO breit, als es in den Verhandlungen über den NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens eine Einigung gab. Ein 10-Punkte-Programm soll den Forderungen der Türkei Rechnung tragen: Es solle keine „Unterstützung für Terroristen“ und ihre Tätigkeit in Finnland und Schweden mehr geben.
„Foul!“ rief gleich Amineh Kakabaveh, eine Abgeordnete des schwedischen Parlaments, die als Kurdin im Iran aufgewachsen ist. Es sei ein Ausverkauf der Meinungsfreiheit und der Rechte von Minderheiten an die türkische Regierung, um im Gegenzug die NATO-Mitgliedschaft für Schweden und Finnland zu erreichen. Doch im Krieg gelten andere Regeln. Was sind Asylrecht, Minderheitenschutz und Meinungsfreiheit gegen noch mehr Bewegungsfreiheit für NATO-Truppen im Norden.

Der Deal soll das Ergebnis phantasievoller Gespräche während einer Kaffeepause gewesen sein. 73 Personen, die die türkische Regierung als Terroristen bezeichnet, sollen Schweden und Finnland an die Türkei ausliefern, meinte Erdogan. Aber weder die schwedische noch die finnische Regierung wissen etwas davon. Und auch der Text des 10-Punkte-Programms nennt keine konkreten Zahlen. Der finnische Präsident Sauli Niinistö erklärte, es gebe keine unbearbeiteten türkischen Auslieferungsersuchen. Und die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson betonte, man werde selbstverständlich den eigenen Gesetzen folgen. Womöglich legen Staaten des Westens Verträge erneut nach ihren eigenen Regeln aus, schließlich fordert das Abkommen einen gemeinsamen rechtlichen Rahmen.

Für Erdogan ist das Thema damit noch nicht vom Tisch. Er droht, das Parlament werde das Abkommen nicht ratifizieren, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden. Dabei geht es der türkischen Regierung vielleicht weniger um die Auslieferung angeblicher Terroristen und die Behinderung von kurdischen Aktivitäten in Skandinavien. Schließlich plant die türkische Regierung einen erneuten Überfall – das wäre dann der vierte – auf die Gebiete im Norden Syriens. Ein Sprecher der „Demokratischen Kräfte Syrien“ erklärte zu den türkischen Drohungen, die „internationale Gemeinschaft“ stehe vor einem Test: Wird sie die Türkei in Schach und von einem Angriff abhalten? Gewiss nicht, wenn es die NATO-Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands kosten würde.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Muss Syrien zahlen?", UZ vom 8. Juli 2022



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit