Britische Kriegsflotte macht Indo-Pazifik unsicher, Deutschland ist dabei

Muskelspiele vor Chinas Haustür

Rule Britannia! Rule the waves!“ Seit der Seeschlacht bei Trafalgar, 1805, war die Royal Navy die unbestrittene Herrin der Weltmeere. Britannien war zur Weltmacht geworden. Nach der Schlacht von Waterloo beherrschte das British Empire ein Reich, das rund 170 Mal größer war als Britannien selbst und ein Viertel der globalen Landmasse umfasste. Nur – das ist sehr lange her. Nach dem Ersten Weltkrieg war Britannien hoch verschuldet, nach dem Zweiten Weltkrieg völlig pleite.

Nicht nur in Deutschland gibt es eine hartleibige Verweigerungshaltung, wenn es um Lehren aus der Geschichte geht. Berlin möchte wieder die Welt am deutschen Wesen genesen lassen. Die Kanzlerin und ihre Kriegsministerin wünschen sich sogar einen Flugzeugträger, um überall auf der Welt mitbomben zu können. Noch ungebrochener scheint Britannien seine globalen Herrschaftsansprüche aufpolieren zu wollen – obwohl das Verfallsdatum auch hier schon lange überschritten ist. Unbeeindruckt von Krisen und neoliberalem Niedergang hatte sich die Tory-Regierung erst unlängst einen mehr als 6 Milliarden Pfund teuren Flugzeugträger, die „HMS Queen Elizabeth“, zusammenbasteln lassen. Um wie in alten Zeiten, als es noch darum ging, den chinesischen Widerstand gegen die Einfuhr britischen Opiums zusammenzuschießen, mit Pauken und Trompeten und einem großen Flottenverband in See stechen zu können. Um wieder, wie vor 180 Jahren, den aufmüpfigen Chinesen zu zeigen, wo der britische Hammer hängt.

Tradition verpflichtet. 1982 hatte die „Eiserne Lady“ in bester Kanonenbootmanier ebenfalls eine Kriegsflotte ausgesandt – damals, um die unbotmäßigen Argentinier zur Räson zu bringen und die Islas Malvinas zurückzuerobern. Die Islas Malvinas liegen zwar auf der anderen Seite des Globus, sind aber nach Vorstellung der britischen Tories Teil des britischen Archipels. Der sogenannte Falklandkrieg war denn auch ein großer Erfolg. Weniger wegen der Rückeroberung der kleinen versteppten und vermoorten Inseln und Felsen und der auf ihnen wohnenden 2.500 Einwohner. Aber Frau Thatcher hatte erfolgreich von ihrem innenpolitischen Crashkurs abgelenkt und sich zur unangreifbaren Staatsheldin stilisiert. Eine PR-Gloriole, derer sie im Kampf gegen die britischen Bergarbeiter 1984/85 dringend bedurfte.

Wie es aussieht, hat sich Boris Johnson an den PR-Erfolg Margaret Thatchers erinnert und plant nun ein da capo im Südchinesischen Meer, um seine katastrophale Corona-Performance vergessen zu machen. Allerdings ist China nicht mehr das China der Opium-Kriege. Die Volksbefreiungsarmee verfügt über modernstes Gerät und weitreichende Abwehrwaffen. Ihre „Carrier-Killer“ (Flugzeugträgerkiller) genannten Antischiffsraketen könnten die britische „Machtdemonstration“ vor der Küste der Volksrepublik binnen Minuten in ein klägliches Desaster mit tausenden von Toten verwandeln.

Noch absurder ist die Entsendung der Bundeswehr-Fregatte „Bayern“ ins Südchinesische Meer, um dort, wie während des „Boxeraufstands“ die Flotte des deutschen Kaisers, „Flagge (zu) zeigen, für unsere Werte, Interessen und Partner“, wie es Frau Kramp-Karrenbauer auszudrücken beliebte.

Die Volksrepublik China ist Europas, vor allem Deutschlands größter Handelspartner, der in vielerlei Hinsicht größte Markt der Welt. Macht es da wirklich Sinn, den Chinesen, die sich sehr wohl an das traumatisch empfundene „Jahrhundert der Demütigungen“ mit seinen zig Millionen Opfern erinnern, mit (zudem unzulänglichen) Flugzeugträgern und Fregatten vor der Nase herumzufuchteln? Möchten Frau Kramp-Karrenbauer und Herr Johnson tatsächlich einen Krieg mit der größten und am schnellsten wachsenden Industriemacht des Globus riskieren, nur weil sie sich – wie ein wildgewordenes Schoßhündchen – mit der Kriegsmaschine des „Großen Bruders“ USA im Rücken unschlagbar fühlen?

In der Tat hat auch das Pentagon seit Barack Obamas asiatischer Wende seine Präsenz vor den Küsten Chinas sukzessive verstärkt. Die seit Richard Nixon bestehende Ein-China-Politik liegt in Trümmern. Washington macht sich, auch mit der Lieferung von militärischem Großgerät, für den Separatismus der taiwanesischen Führung stark. Es operiert demonstrativ in dem sensiblen und für die Volksrepublik lebenswichtigen Bereich des Südchinesischen Meeres. Die fortgesetzten Provokationen atomar ausgerüsteter oder ausrüstbarer US-amerikanischer Kriegsschiffe, U-Boote, Flugzeugträger und strategischer Bomber vor der chinesischen Haustür macht die eigentliche Gefahr für den Weltfrieden aus.

Man muss sich nur das Szenario mit vertauschten Rollen vor der Küste Virginias vorstellen. Die„westliche Wertegemeinschaft“ mit ihrer Führungsmacht, dem US-Imperium, an der Spitze produziert derzeit genügend Eskalationspotential, um einen begrenzten lokalen, vielleicht auch zufällig oder unglücklich ausgelösten Konflikt sehr schnell zu einer internationalen, atomar ausgetragenen Angelegenheit werden zu lassen. Ein Krieg, in den dann – als sei ein 1945 noch nicht genug – auch Deutschland verwickelt ist

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Muskelspiele vor Chinas Haustür", UZ vom 7. Mai 2021



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit