Vor 50 Jahren starb Duke Ellington

Musik der Emanzipation

Duke Ellington, herausragende Persönlichkeit der Musik- und Kulturgeschichte, insbesondere des Jazz, starb vor 50 Jahren, am 24. Mai 1974.

Geboren wurde Edward Kennedy Ellington am 29. April 1899 in eine kleinbürgerliche Familie in Washington. Seine Mutter war die Tochter eines ehemaligen Sklaven. Beide Eltern spielten Klavier und so wuchs Ellington in einem musischen Haushalt auf und lernte bereits siebenjährig dieses Instrument zu spielen. Darüber hinaus vermittelten die Eltern ihren Kindern ihre Überzeugung, dass alle Menschen gleich sind, und gaben ihnen mit, dass Leistung und Anstand der Schlüssel zu Fortschritt und Würde seien.

Ellingtons Kindheit war von allgegenwärtigem Rassismus geprägt. Dazu gehörten auch die Unruhen des „Red Summer“ von 1919, drei Monate blutiger Gewalt. Als Schwarzer musste sich Ellington zudem in einer feindseligen und diskriminierenden Branche behaupten. Diese frühen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung prägten natürlich seine Musik.

Die 1920er Jahre waren eine Zeit künstlerischer und kultureller Blüte für schwarze Amerikaner, insbesondere in Harlem. Diese „Harlem Renaissance“ entstand in einer Ära intensiver rassistischer Unterdrückung und sozialer Ungleichheit, als Reaktion auf die anhaltende rassistische Jim-Crow-Epoche und den Ku-Klux-Klan. Die Künstler der „Harlem Renaissance“ sprachen durch ihre Werke die Probleme der afroamerikanischen Gemeinschaft an und förderten das Bewusstsein für die Notwendigkeit sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Die Bewegung war ein Versuch, den systemimmanenten Rassismus zu durchbrechen und alternative Formen der Identität und Solidarität zu fördern.

Ein eigenes Orchester

1923 gründete Duke Ellington gemeinsam mit seinem Jugendfreund, dem Schlagzeuger Sonny Greer, ein Ensemble, das später das Duke Ellington Orchestra werden würde. Im Laufe der Jahre wuchs das Ensemble zu einem vollwertigen Jazzorchester heran, das hohe Berühmtheit erlangte. Ursprünglich als eine Form der afroamerikanischen Volksmusik entstanden (Blues, Arbeitslied und Spiritual), tauchte der Begriff „Jazz“ erstmals in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts auf und wurde zunächst im Zusammenhang mit Musik verwendet, die in den Südstaaten der USA entstand. Ellington machte also eine relativ neue, spezifisch schwarze Musikrichtung zu seiner Ausdrucksform. Zu den bekanntesten Musikern, die sich unter Ellingtons Leitung in dem Orchester zusammenfanden, gehörten manche der talentiertesten Jazzmusiker der Zeit, darunter der Saxophonist Johnny Hodges, der Trompeter Bubber Miley und der Klarinettist Barney Bigard. Sie traten in Harlemer Clubs auf und später auch in dem legendären Cotton Club, als dieser nur schwarze Künstler und Bedienstete, aber kein schwarzes Publikum zuließ. Die dort gespielte Musik war oft so orchestriert, dass sie eine Dschungelatmosphäre evozieren sollte und projizierte diese Vorstellung auf die afroamerikanischen Angestellten als exotische Wilde oder Plantagenbewohner. Ellingtons Beitrag zur Musik während der „Harlem Renaissance“ ging weit über bloße „Unterhaltung“ hinaus und untergrub diese Stereotypen. Seine Fähigkeit, verschiedene musikalische Einflüsse zu verschmelzen und einen einzigartigen Klang zu schaffen, ebnete den Weg für zukünftige Generationen von Jazzmusikern und festigte sein Erbe als eine der wichtigsten Figuren der amerikanischen Musikgeschichte, wobei er das Potenzial dieser künstlerischen Ausdrucksform betonte, zu breiteren Bewegungen für sozialen Wandel und Gleichberechtigung beizutragen.

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Auftritt des Duke Ellington Orchestra 1963 in München (Foto: Hans Bernhard / Wikimedia / CC BY-SA 3.0 Deed / Bearb.: UZ)

Klangporträts der realen Welt

Ein früher Erfolg war „Black and Tan Fantasy“ (1927), das sich auf den Namen der Klubs bezog, wo ein gemischtes Publikum Schwarzer und Weißer zugelassen war. Der Inhalt dieser Komposition war sozialkritisch: eine schwarze Tänzerin tanzt sich aus Liebe und finanzieller Not zu Tode. Die Musik beinhaltete Elemente des Blues, Jazz, sakrale sowie klassische europäische Musik (Chopins Trauermarsch). Diese bemerkenswerte Komposition war eine direkte Herausforderung an die abfälligen Stereotypen, die mit der damals sogenannten „Dschungelmusik“ verbunden waren. Seine synkopierten Rhythmen, Improvisation und der Einsatz von Blechblasinstrumenten spielte darauf an und hob diesen Sound auf ein sehr anspruchsvolles Niveau.

Ellingtons Klassenbewusstsein, besonders was die schwarze Arbeiterklasse betraf, war oft subtil in seine Kompositionen eingewoben. Kompositionen wie beispielsweise „Harlem Air Shaft“ (1940) sind hervorragende Beispiele für seine Fähigkeit, das Leben in urbanen schwarzen Gemeinden darzustellen. In „Harlem Air Shaft“ porträtiert Ellington musikalisch die beengten Wohnbedingungen und die lebhafte Atmosphäre eines Wohnhauses in Harlem. Der Titel bezieht sich auf die Luftschächte in den Harlemer Wohnhäusern und fängt die Atmosphäre der belebten Straßen, überfüllten Mietskasernen und einer pulsierenden Energie ein. Ellington nutzt die Musik, um ein Klangporträt des Alltags in diesem Viertel zu zeichnen, wobei er Elemente des Swing, Blues und der Improvisation einfließen lässt, um die Wahrzeichen und Geräusche Harlems zu evozieren.

Als die Bürgerrechtsbewegung in den 1950er Jahren an Dynamik gewann und durch direkte Aktionen wie Massenproteste, Boykotte und Sit-ins für die Gleichberechtigung der Schwarzen eintrat, wurde Ellington zuweilen für sein verhalteneres Herangehen kritisiert. Während Ellingtons frühere Vorgehensweisen hauptsächlich darin bestanden, ein spezifisch schwarzes Genre mit hohem künstlerischen Niveau und Würde zu versehen sowie Benefizkonzerte zu organisieren, entwickelte sich sein Ansatz im Laufe der Zeit. 1961 hatte Ellington in seinen Verträgen Nichtdiskriminierungsklauseln verankert und weigerte sich, vor segregiertem Publikum aufzutreten.

„Jazz-Botschafter“

In den 1960er und 1970er Jahren, trat Ellington als „Jazz-Botschafter“ im Auftrag des US-Außenministeriums auf. Er bereiste in jenen Jahren auch sozialistische Länder einschließlich einer fünfwöchigen Tour durch die UdSSR im Jahre 1971. Er berichtet: „Hier rührt sich niemand von seinem Platz, bis das ganze Konzert und alle Zugaben gespielt sind. Das beeindruckt mich sehr. Die Begeisterung ist so groß und die Forderung nach Zugaben so hartnäckig, dass manche Konzerte über vier Stunden dauern. (…) Sie sind auf unsere Version von ‚Caravan‘ vorbereitet, die in Russland seit langem sehr beliebt ist, aber nicht auf unsere erweiterte Komposition ‚Harlem‘, wie ich glaube. Nachdem wir unser reguläres Programm durchgespielt haben und sie glauben, alle Stars der Band gehört zu haben, stelle ich zwei der neuen Mitglieder vor, Johnny Coles am Flügelhorn und Harold Minerve am Altsaxophon, die sie immer wieder begeistern. Zum Abschluss jedes Auftritts spiele ich Billy Strayhorns ‚Lotus Blossom‘, und auch das kommt immer gut an. Es scheint das Publikum in Euphorie zu versetzen, ja mehr als das.“

Emanzipationsanspruch

Während der 1930er Jahre entstand die Idee einer groß angelegten Komposition zur Rassismuserfahrung in den USA. Die Uraufführung von „Black, Brown and Beige: A Tone Parallel to the History of the American Negro“ (Schwarz, Braun und Beige: Eine klangliche Parallele zur Geschichte der Afroamerikaner) fand 1943 in der Carnegie Hall anlässlich einer Benefizveranstaltung für Russian War Relief (Kriegshilfe für Russland) statt. Die dreisätzige Komposition behandelte drei spezifische Epochen der Afrikaner nach ihrer Versklavung nach Nordamerika: die Sklaverei, ihren Kampf in den Kriegen sowie die damalige Gegenwart mit dem Schwerpunkt auf „Harlem und alle kleinen Harlems in den USA“. Ellington gab Erläuterungen zu jedem Satz, zu der jeweiligen Epoche mit indirekten Verweisen auf die anhaltende Unterdrückung. Wie Ellington in seinen autobiografischen Memoiren „Music is My Mistress“ (1973) schreibt, thematisiert der erste Abschnitt „Black“ die Verbindung zwischen Arbeitslied und Spiritual. Ellington, ein gläubiger Mensch, stellte diese Verbindung zwischen sakraler Musik und der Musik auf den Feldern her, wobei die Spirituals auf eine Kirche verwiesen, zu der die Sklaven keinen Zugang hatten.

„Black“ beginnt mit dramatischen Trommelklängen, ein Hinweis auf die afrikanischen Wurzeln der Sklaven. Durch abwechselnde Motive, Saxophonsoli und innovative Instrumentierung gibt Ellington den Arbeitern der Vergangenheit eine Stimme. Die zweite Hälfte, „Come Sunday“, beschreibt die Bewegung innerhalb und außerhalb der Kirche, mit einem Wechsel von Melancholie und ausgelassener Freude.

Im zweiten Abschnitt, „Brown“, würdigt Ellington den Beitrag der Schwarzen in verschiedenen Befreiungskriegen. Der erste von drei Tänzen, der „Westindische Tanz“, feiert die heldenhaften Taten der siebenhundert freien Haitianer, die den Amerikanern bei der Belagerung von Savannah (1779) zur Hilfe kamen. Dann geht es zum Bürgerkrieg über und schließlich zu einer leichteren Stimmung in „Befreiungsfeier“ mit Bezug auf die Emancipation Proclamation, die am 1. Januar 1863 von Abraham Lincoln während des Amerikanischen Bürgerkriegs erlassen wurde und verfügte, dass alle Sklaven in von den Konföderierten kontrolliertem Gebiet freigelassen werden sollten. Die Hörner spielen einen claveartigen Rhythmus, der die westindischen Einflüsse in amerikanischer Musik repräsentiert. Ellington schafft eine treibende Rhythmusgrundlage für die Saxophone, die an einen Zug erinnert. Ein Trompeten- und Posaunenduett steht für die hoffnungsvolle Stimmung junger Menschen nach der Sklavenbefreiung, während einsame Saxophone die Melancholie älterer Generationen einfangen, deren Verwirrnis über ihre Zukunft.

Als Drittes geht es um den Spanisch-Amerikanischen Krieg mit der Rückkehr der dekorierten Helden, denen weiterhin grundlegende Rechte verweigert wurden. Dieser Abschnitt zielte natürlich auf das zeitgenössische Publikum hinsichtlich des Zweiten Weltkriegs. Die „Double V“-Kampagne gab afroamerikanischen Hoffnungen Ausdruck, dass der Kampf der schwarzen Soldaten gegen den Faschismus ein Ende der Diskriminierung im eigenen Land bedeuten würde.

Der letzte „Beige“-Satz kritisierte den zeitgenössischen Rassismus. Wie Ellington schreibt, gibt der Satz einer neuen Würde der Afroamerikaner Ausdruck. Er beginnt mit einer lebhaften Musik, die eine gewisse stereotype Sicht auf Schwarze widerspiegelt und durch einen Walzer unterbrochen wird, das soll zeigen, dass es in Harlem „mehr Kirchen als Cabarets“ gab und dass die Schwarzen gebildet und kultiviert sind.

Jeder Satz von „Black, Brown und Beige“ nutzt auf charakteristische Weise das Jazz-Idiom Ellingtons, um das schwere Leben der Schwarzen darzustellen, die entscheidend zum Aufbau der Gesellschaft der USA beigetragen haben.

Die Werke „Jump for Joy“, „Deep South Suite“ und „Beggar’s Holiday“ sind weitere Beispiele für Ellingtons politisches Engagement und seine Bemühungen um soziale Veränderung durch Kunst. „Jump for Joy“ war eine Broadway-ähnliche Show, die gegen Rassismus auftrat und das Ende der Diskriminierung in den USA propagierte. „Deep South Suite“ und „Beggar’s Holiday“ thematisieren die Diskriminierung und das Leiden der Afroamerikaner, insbesondere in den Südstaaten. Ellingtons Musik prangerte gesellschaftliche Missstände an und war bemüht, Veränderungen herbeizuführen, noch bevor die Bürgerrechtsbewegung an Fahrt gewann.

Sein Engagement für die Emanzipation zeigte sich vor allem in seiner Musik. Durch sein vielfältiges Musikrepertoire forderte er das gleiche Maß an Anerkennung und Respekt, das den weißen Komponisten zuteil wurde. Ellingtons Einfluss nicht allein auf die US-amerikanische Musik und Kultur ist unschätzbar. Er gehört zweifellos zu den großen Musikern des zwanzigsten Jahrhunderts.

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"Musik der Emanzipation", UZ vom 24. Mai 2024



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