Indien lässt sich nicht vom Westen vor den Karren spannen

Multipolares Asien

Indien hält unbeirrt an seiner engen Zusammenarbeit mit Russland fest. Bereits vor dem Beginn des BRICS-Gipfels im russischen Kasan hatte Premierminister Narendra Modi die „spezielle und privilegierte strategische Partnerschaft“ zwischen den beiden Ländern gelobt. Am Rande des Gipfels wiederholte er dies – unbeschadet der Tatsache, dass er gleichzeitig öffentlich auf ein rasches Ende des Ukraine-Kriegs sowie eine friedliche Lösung des diesem zugrundeliegenden Konflikts drang. Die Beziehungen sind eng. So boomt der russisch-indische Handel; er stieg im vergangenen Jahr laut russischen Angaben um mehr als 60 Prozent auf 56,8 Milliarden US-Dollar und nahm von Januar bis August dieses Jahres erneut um rund neun Prozent zu. Berücksichtigt werden muss freilich, dass er zu erheblichen Teilen aus russischen Erdöllieferungen besteht. Nach wie vor stammt mehr als die Hälfte der Waffensysteme, die Indiens Streitkräfte nutzen, aus russischer Produktion; und auch wenn Neu Delhi bemüht ist, seine starke Abhängigkeit von russischen Rüstungskonzernen zu reduzieren, sind diese immer noch Indiens größte Lieferanten. Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar bezeichnete Ende 2023 die indisch-russischen Beziehungen als „einzige Konstante der Weltpolitik“ seit den 1950er Jahren.

Darüber hinaus ist Indien derzeit bemüht, seine Beziehungen zu China wieder zu verbessern. Neu Delhi betrachtet Peking traditionell als seinen zentralen asiatischen Rivalen. Die blutige Eskalation des indisch-chinesischen Grenzkonflikts im Frühjahr 2020 ließ die Spannungen zwischen beiden Ländern dramatisch anschwellen, und wenngleich beide Seiten im Frühjahr 2022 eine gewisse Annäherung vollzogen, um den erstrebten Ausbau des BRICS-Bündnisses zu ermöglichen, blieben ernste Differenzen. Vergangene Woche, unmittelbar vor dem Beginn des BRICS-Gipfels, einigten sich Neu Delhi und Peking auf Modalitäten, die es ermöglichen sollen, ihren Grenzkonflikt zumindest zu dämpfen, vielleicht gar zu entspannen. An der Demarkationslinie hoch oben im Himalaya sei „der Entflechtungsprozess mit China abgeschlossen“, teilte Außenminister Jaishankar mit. Am Rande des BRICS-Gipfels in Kasan kam es nun zum ersten offiziellen Treffen zwischen Modi und Chinas Präsident Xi Jinping seit Oktober 2019. Dabei hieß es, beide Seiten hätten ihre Regierungen angewiesen, die bilateralen Beziehungen in jeder Hinsicht zu stabilisieren. Der Handel zwischen den zwei Ländern ist ohnehin eng; China stellt mit fast 18,2 Prozent einen größeren Anteil an Indiens Importen als jedes andere Land. Nun wird mit einer weiteren Zunahme gerechnet.

Ist der Ausbau der Beziehungen zwischen Indien und China für den Westen – auch für die Bundesrepublik – ein ernster Schlag, da die transatlantischen Mächte eigentlich versuchen, Neu Delhi gegen Peking in Stellung zu bringen, so sind auch weitere Resultate des BRICS-Gipfels beziehungsweise der Gespräche an seinem Rande für sie unvorteilhaft. Das gilt nicht zuletzt für Indiens Pläne, seine Beziehungen zu Iran zu intensivieren. Premierminister Modi teilte etwa auf X mit, er habe „ein sehr gutes Treffen“ mit Irans Präsident Masoud Pezeshkian gehabt; man habe „die gesamte Bandbreite der Beziehungen zwischen unseren Ländern“ thematisiert und die Vertiefung der Bindungen vor allem in Zukunftsbranchen diskutiert. Indien ist unter anderem dabei, den Hafen in Chabahar im Südosten Irans auszubauen – dies mit dem Ziel, zum einen seinen Handel mit Afghanistan und Zentralasien zu intensivieren, ohne das Territorium seines Erzfeindes Pakistan durchqueren zu müssen, zum anderen den Handel mit Russland zu stärken – auf dem Weg über iranisches und aserbaidschanisches Territorium in den russischen Nordkaukasus. Dem International North-South Transport Corridor wird erhebliche strategische Bedeutung beigemessen. Modi hat in Kasan Peseschkian eingeladen, in Kürze Neu Delhi zu besuchen.

Der Ausbau der Zusammenarbeit mit Russland, China und Iran hält Indien nicht davon ab, gleichzeitig auch die Beziehungen zu den USA zu intensivieren. Washington hat Inte­resse daran, Neu Delhi gegen Peking in Stellung zu bringen, und ist deshalb bereit, Indien in vielerlei Hinsicht zu unterstützen. So hat es seine Rüstungsexporte nach Indien erheblich gestärkt und liefert ihm unter anderem Militärtransportflugzeuge des Modells C-17 Globemaster, Kampfhubschrauber des Modells AH-64 Apache sowie Seefernaufklärer vom Typ P-8I Poseidon. Indien kooperiert mit den USA, Japan und Australien im Rahmen des Quad-Pakts, der sich gegen China richtet und auch eine militärische Komponente inklusive gemeinsamer Manöver umfasst. Um die indische Wirtschaft, deren Entwicklung deutlich hinter derjenigen der chinesischen Wirtschaft zurückliegt, bei der Aufholjagd zu unterstützen, hat das US-Außenministerium im September angekündigt, Indiens Halbleiterbranche zu fördern. US-Präsident Joseph Biden urteilte im September bei einem Besuch von Modi, der sich anlässlich eines Quad-Gipfels in den USA aufhielt, die Beziehungen zwischen beiden Ländern seien „stärker, enger und dynamischer als zu jedem Zeitpunkt in der Vergangenheit“.

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"Multipolares Asien", UZ vom 1. November 2024



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