Gegen deutsche Kriegsmeute kommt der SPD-Fraktionsvorsitzende aber nicht an

Mützenich lässt nicht locker

Kolumne

Am Sonnabend hat Rolf Mützenich es wieder getan und sich für Verhandlungen mit Russland eingesetzt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende sagte den Zeitungen der „Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft“: „Ich wünsche mir, dass genauso viel über Diplomatie gesprochen wird wie über Waffenlieferungen.“ Er habe mitunter den Eindruck, dass „Diplomatie“ zu einem Schimpfwort zu werden drohe. Es gehe nicht darum, „über die Köpfe der Ukraine hinweg mit Russland zu verhandeln“. Es müsse aber mit den Regierungen auf der Welt geredet werden, „die noch einen gewissen Einfluss auf Putin haben könnten“. Und warnte mit Blick auf die vom Koparteivorsitzenden Lars Klingbeil geführte Debatte in der SPD über die Ostpolitik seit den Zeiten von Willy Brandt und Egon Bahr vor Selbstgeißelung: „Ich bin nicht gewillt, in Sack und Asche zu gehen.“ Die Entspannungspolitik der SPD sei „ein wichtiger Türöffner für die friedliche Herstellung der Souveränität von früher unterdrückten Staaten in Osteuropa“ gewesen. „Dafür braucht man sich nicht zu entschuldigen.“ Fehler habe es in der Russlandpolitik der vergangenen Jahre gegeben: „Dazu gehört etwa der Verkauf von Gasspeichern an russische Firmen und auch die Relativierung der politischen Dimension von Nord Stream 2.“

So weit, so kompatibel mit der SPD? Zweifel sind angebracht. Klingbeil wird seit dem Frühjahr nicht müde, die Politik Willy Brandts und Egon Bahrs zu entsorgen. Am 18. Oktober sagte er in Berlin, die Aussage, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben könne, habe keinen Bestand mehr: „Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren.“ Mützenich mag solch strategische Dummheit nicht. Wenige Tage nach den Klingbeil-Äußerungen kritisierte er im „ZDF“ zwar nicht Klingbeil, aber die Außenministerin: Sie solle sich stärker für eine diplomatische Lösung im Ukraine-Krieg einsetzen. Er fühle sich durch Meinungsumfragen unterstützt, nach denen 60 Prozent der Deutschen mehr diplomatische Initiativen wollten.

Bis dahin war Mützenich noch unterm Radar der deutschen Kriegspresse. Das änderte sich Anfang November. Am 4. November kramte die Meute heraus, dass der Mann am 20. Oktober in einem Brief an die KP Chinas im Namen der SPD-Bundestagsfraktion „Chinas neu ausgewählter Führungsebene eine gute Hand und viel Erfolg bei den wichtigen Weichenstellungen der kommenden Jahre“ gewünscht hatte. Da hatte er gerade erneut Baerbock gerüffelt: Deren Ratschläge zur China-Reise des Kanzlers seien „unhöflich“, „undiszipliniert“ und „beispiellos“.

Das verlangte nach medialer Ohrfeige, die Gelegenheit kam flugs: Am 5. November beklagte sich Mützenich, sein Name habe auf einer „Terrorliste“ der Kiewer Regierung gestanden. Sogar „Bild“ stieg ein und dreckschleuderte: „Falschbehauptungen“. In der „FAZ“ höhnte ein notorischer Kriegshetzer: „Der empfindliche SPD-Mann“. Faschistenfan Andrij Melnyk twitterte: „Es gibt keine ‚Terrorliste‘ der ukrainischen Regierung. Hören Sie mal auf, sich als ‚unschuldiges Opfer‘ darzustellen.“ Selbstverständlich aber hatte der Chef jener von den USA finanzierten Kiewer Behörde, die mehr als 70 Namen auf einer Schwarzen Liste am 14. Juli veröffentlicht hatte, von „Informationsterroristen“ gesprochen. In der Bundesrepublik empörte sich damals allein Klaus Staeck, kein Parteivorsitzender, kein Bundespräsident. Der ist ohnehin inzwischen Metaphysiker und spricht statt von Russland vom „Angesicht des Bösen“. Als sich Mützenich beschwerte, schwafelten die Medien zunächst von einer „angeblichen“ Liste, weil die inzwischen gelöscht worden war. Als sich nichts mehr leugnen ließ, wurde das Thema versenkt. Auf Mützenichs Festhalten an Diplomatie am vergangenen Sonnabend gab es kein Echo mehr. Der Stand der Dinge lautet: Krieg schaffen mit immer mehr Waffen.

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"Mützenich lässt nicht locker", UZ vom 18. November 2022



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