„Für mich war das Mord“, sagt die Frau. Sie erzählt, wie sie einmal mit Adel B. Silvester gefeiert hat, „ein ganz Lieber“. Adel B. ist tot. Am frühen Morgen des 18. Juni hat ein Polizist ihn erschossen.
Ein paar Stunden später wusste „Bild“, wie es gewesen war: „Polizist erschießt Messer-Mann in Essen“, Adel B. habe den Beamten angegriffen, weil er sterben wollte. Offenbar hatte ein Pressesprecher der Essener Polizei unmittelbar nach dem tödlichen Schuss genau das gesagt: Notwehr.
Ein Anwohner hat den Polizeieinsatz aus seiner Wohnung schräg gegenüber gefilmt. Er sagt Dinge wie: „Ich habe nichts gegen Ausländer, nur gegen kriminelle Ausländer.“ Dass die Polizei hier in Altendorf, einem ärmeren Stadtteil mit schlechtem Ruf, Beamte mit Maschinenpistolen zu Großeinsätzen gegen angebliche Clan-Kriminalität ausrücken lässt, findet er „teilweise auch gut“. Nur: Sein Video zeigt, dass Adel B. erschossen wurde, als die Polizisten versuchten, ihm in das Haus zu folgen, in dem seine Lebensgefährtin wohnt. Er sagt, die Polizei habe versucht, das Video verschwinden zu lassen und es von seinem Handy gelöscht, als er es als Beweis zur Verfügung stellen wollte. Weil er es auch in einer Cloud gespeichert hatte, ist es bei Youtube zu sehen. Deshalb und wegen der Berichte regionaler Medien „können die das nicht mehr unter den Tisch fallen lassen“.
B.s Nachbar steht auf einer Kundgebung, der Redner der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh sagt ins Megaphon: „Das kennen wir: Die Polizei erschießt jemanden, dann kommen die Lügen.“ Anfang August haben vor allem linke Gruppen in Essen-Altendorf demonstriert, vorne ein Transparent mit der Forderung „Gerechtigkeit für Adel B.“. Aus welchem Grund der Mann, der das Video gemacht hat, zu so einer Demo kommt? „Weil er ein Nachbar war.“
Die Staatsanwaltschaft Essen entscheidet erst Anfang September, wenn das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist, ob sie den Beamten anklagen wird, der geschossen hat. Die Polizei habe die Beweise „vollkommen ordnungsgemäß behandelt“ und das Video zu den Akten genommen, sagt die Pressesprecherin Oberstaatsanwältin Anette Milk.
Adel B. hatte die Polizei offenbar selbst gerufen, er war aufgewühlt, mit einem Messer bewaffnet und drohte, sich umzubringen. Die Beamten sprachen länger mit ihm, während sie ihre Waffen auf ihn richteten, und folgten ihm zum Haus, in dem seine Lebensgefährtin wohnt. Adel B. ging hinein. Das Video des Nachbarn zeigt, dass die Polizisten versuchen, ihm zu folgen, wie ein weiterer Beamter dazukommt und durch die Tür hindurch schießt. Der Schuss traf B. durch die Scheibe in die Seite, er starb auf der Stelle.
Die Polizisten sagen: Sie wollten verhindern, dass B. in die Wohnung kommt, er sei schon vorher gewalttätig geworden. Auf dem Video ist nicht zu sehen, ob die Tür ganz geschlossen war, als der Schuss fiel. Nach Aussage der Polizisten habe einer von ihnen einen Fuß in den Türspalt gestellt, B. habe versucht, durch den Spalt mit dem Messer zu stechen, deshalb habe der hinzukommende Beamte geschossen. Keiner der Polizisten wurde bei dem Einsatz verletzt.
Die Polizei soll ein SEK angefordert haben, um die örtlichen Beamten zu unterstützen. Der Pressesprecher der Essener Polizei erklärt, dass solche „Spezialisten“ vielleicht aus Köln oder Münster geholt werden müssten – „keine Sache von einer halben Stunde“. Üblicherweise fordere die Polizei in so einer Situation auch Beamte der Verhandlungsgruppe an. Jedenfalls hatte B. keinen psychologisch geschulten Ansprechpartner, bevor der Schuss fiel.
Die Demonstration zieht an dem Haus vorbei, in dem Adel B. starb. Der Durchschuss in der Scheibe der Haustür ist mit Folie überklebt. Die Anwohner an der Ecke sind sich einig: Die Polizei hat Adel B. ermordet und versucht, das zu vertuschen. Sie berichten, wie Adel B. mit den Enkeln gespielt hat und von Polizisten, die im Viertel kleine Drogendealer verprügeln. Und: „Hätte er blonde Haare, hätten die das nicht gemacht.“
Gerade die jungen Beamten seien oft schlecht ausgebildet, überreagierten leicht und seien manchmal brutal, ist der Eindruck, den die Anwohner schildern. Der, der auf Adel B. geschossen hat, ist 27 Jahre alt. Sie sehen ihr Viertel als Übungsfeld, auf dem junge Polizisten gezielt in Auseinandersetzungen geschickt werden. „Hier auf der Demo siehst du nur alte Polizisten“, sagt ein Bekannter Adels. Die jüngeren Beamten fahren mit ihrer Ausrüstung in vier Mannschaftswagen zweihundert Meter hinter der Demo.