Ob der fast 400 Abbildungen, wenn auch meist nur wenig größer als Briefmarkenformat, und des umfangreichen Registers und der Bibliografie, kann man das Buch empfehlen, aber nur bedingt. Die politischen Kommentierungen des Autors sind nicht nur ärgerlich, weil plump, sondern zeigen auch eine typische Herangehensweise: Eigentlich weiß der Autor schon vorher, was er von der Person, über die er schreibt, zu halten hat. Deshalb sucht er so lange, leider auch schon mal im Trüben, was seine Vorstellungen unterfüttert. Wer einen Künstler auf sein biografisches Leben reduziert, sich mit den künstlerischen Ideen und Umsetzungen nur insoweit beschäftigt, damit das Werk die Biografie bestätigt. Schlimmer noch, für psychoanalytische Albereien kriecht der Autor der Person in den Kopf und scheint zu wissen, wie sie denkt, was sie antreibt.
Hellmuth Franz Josef Herzfeld, so hieß der sich später John Heartfield nennende Künstler, nach seiner Taufe am 19. Juni 1891. Er starb am 26. April 1968 in Berlin, Hauptstadt der DDR, geehrt mit dem Nationalpreis des Staates und einer Ehrenprofessur der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. Einige knappe Daten einer Biografie, die zwei Weltkriege, Verfolgung und Emigration, Anerkennung und heftige Ablehnung umfasste: Schulverweis, durch Vermittlung ging er nach Wiesbaden, machte dort eine Buchhändlerlehre, sein künstlerisches Talent brachte ihm dann einen Studienplatz in München an der Kunstgewerbeschule, später ging er nach Berlin und beendete an der dortigen Kunstgewerbeschule sein Studium. 1914 wurde er zum Kriegsdienst gezwungen, er wurde aufgrund „extremer Nervosität“ entlassen und konnte seinem Bruder Wieland, der 1916 ebenfalls wegen „Subordination“ das Militär verlassen konnte, bei Gründung und Aufbau des Malik-Verlages beistehen. Aus Protest gegen die englandfeindliche Politik des Kaiserreichs änderte Hellmuth Herzfeld seinen Namen in John Heartfield, den Namen, mit dem er nun für alle weiteren Jahre bis zu seinem Tod seine künstlerischen Arbeiten signierte.
In den Kriegsjahren einen Buchverlag und eine neue Zeitschrift zu gründen war ein großes Wagnis, die ökonomischen Bedingungen, aber auch die Kriegszensur waren dem Unternehmen nicht günstig. Gleichzeitig entwickelte sich in diesen Jahren eine kritische, antiexpressionistische Bewegung unter Künstlern, Literaten und Malern, die die intellektuelle Basis der jungen Dada-Bewegung bilden werden. Dazu gehören Namen wie George Grosz, Richard Huelsenbeck, Hugo Ball und Hans Arp. Sie lieferten Texte und Bilder für Buchausgaben und die Zeitschrift „Neue Jugend“, die Wieland in seinem Malik-Verlag herausgab und für die sein Bruder John die Gestaltung verantwortete. Er entwickelte eine völlig neue Form- und Bildsprache, kleinteilige Formate für die Texte, unterbrochen von Grafiken und so viel wie möglich durch die Montagetechnik. Die Art und Weise, wie moderne Werbung arbeitete, hatte dabei einen nicht unerheblichen Einfluss auf Heartfields Herangehen, Textzeilen wurden aufgebrochen, wichtige Informationen wurden eher mehrfach auf die gleiche Seite gesetzt. Die Arbeit für den Verlag und mehrere im Laufe der nächsten Jahre erscheinende – und auch wieder eingestellte – Zeitschriften verschaffte Heartfield den Lebensunterhalt bis Mitte der 20er Jahre.
Im Dezember 1918 trat John Heartfield gemeinsam mit seinem Bruder und mit Erwin Piscator und George Grosz in die neugegründete KPD ein, die politischen Debatten dieser Jahre um die Frage, ob und wie die Partei eine stimmige Politik zur Kunst und zu den Künstlern entwickeln kann, waren auch für Heartfield das Fundament, seine eigenen Auffassungen darüber, wie und wo er für die Arbeiterklasse und ihre Partei am wirkungsvollsten arbeiten soll. Er übernahm erste Auftragsarbeiten für die KPD und ihre Publikationen, zur Illustration der Politik der Partei sei Hermann Duncker zitiert: „Kunst soll weder Selbstzweck sein noch das persönliche Vergnügen des Einzelnen zum Ziel haben. Ihre Hauptrolle liegt in der Agitation. Kunst soll eine kollektive Aktivität sein mit dem Zweck, den Gefühlen der Massen Ausdruck zu verleihen. Kunst müsse einen klassenbedingten Abscheu gegenüber dem Kapitalismus und den Wunsch zur Verwirklichung des Kommunismus darstellen.“ Diese verengte, die künstlerischen Ausdrucksformen auf direkte Verständlichkeit und propagandistische Wirkung zu reduzieren, war für Heartfield, der vom Kunstgewerbe kam und seine Grenzen kannte, völlig selbstverständlich und ohne Zweifel.
1921 kam die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ (AIZ) zum ersten Mal heraus, Heartfield arbeitete die erste Zeit nur gelegentlich dafür, erst ab 1926 lassen sich in jeder Ausgabe Arbeiten von Heartfield finden. Hier entwickelte er „seinen“ Stil, die Gestaltung der Titelseite oder auch Innenseiten mit der Technik der Fotomontage, ein Bild so zu entwerfen, dass nur wenig Text, am besten eine Schlagzeile notwendig ist, um den Inhalt der Ausgabe oder des politischen/literarischen Textes klar zu benennen. Heartfield arbeitete am liebsten mit dem Stilmittel der Satire, es scheint ihm leichter gefallen zu sein, als etwas zu loben und eine positive Aussage visuell umzusetzen. Aber auch hier gelangen ihm eindrucksvolle Bilder: Zur Reichstagswahl 1928 kandidierte die KPD als Liste 5. Heartfield schuf ein Plakat mit einer ausgestreckten Arbeiterhand und dem Satz „5 Finger hat eine Hand“ (siehe Abbildung).
Neben diesen Arbeiten für die KPD arbeitete Heartfield ständig für den Malik-Verlag. Viele Buchumschläge und Plakate für die Produktionen sind von seiner Hand, nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Freundschaft zu Erwin Piscator dazu führte, Bühnenprospekte und Bühnenbilder für dessen Regiearbeiten zu entwerfen. Heartfield war in den Jahren bis 1933 der bekannteste, vielfach gelobte und zitierte Gestalter und natürlich bei den reaktionären und faschistischen Kreisen und Bewegungen der, der gehasst und verachtet wurde. Die ständige Mitarbeit an der AIZ, die es in den letzten Jahren vor der faschistischen Diktatur auf eine Auflage von fast einer halben Million brachte, steigerte die Bekanntheit von Heartfield. Auch im Ausland, nicht nur in der Sowjetunion, kannte man seine Arbeiten, er erhielt Anfragen anderer kommunistischer Parteien und fortschrittlicher Buch- und Zeitschriftenverlage aus Frankreich, England, Italien, den USA. In den Jahren von 1930 bis 1938, also auch im Prager Exil der AIZ, schuf Heartfield insgesamt 237 Bilder, immer in der von ihm gefundenen Form der Fotomontage. Sie geben über die Jahre ein bedeutsames Spektrum der aktuellen Themen, die die Redaktion vorstellen und kommentieren wollte, und Heartfields Entwürfe waren immer dem Hauptthema der jeweiligen Woche gewidmet. Ein Beispiel für die Auseinandersetzungen mit der SPD ist das Bild „Die letzte Weisheit der SPD – Nieder mit dem Marxismus“. Auf dem Leipziger Parteitag 1931 fiel die Bemerkung von Wilhelm Sollmann, Mitglied des Reichstages, dass der berühmte Satz von Marx, „die Arbeiterklasse habe nichts zu verlieren als ihre Ketten“ nur „stockreaktionär“ sei. Heartfield zeigt Marx, eine „Rote Fahne“ unterm Arm, wie er von preußischen Polizisten verhaftet wird, er wird beschuldigt, ein falscher Prophet zu sein, da Mitglieder der SPD keine Ketten zu verlieren hätten, sondern lediglich ihre Futterkrippen und Ministersessel. (Siehe Abbildung) Die AIZ berichtete ausführlich über diesen Parteitag und Heartfield lieferte eine raffinierte, treffende Vorlage für die Redaktion.
1933 musste Heartfield, gemeinsam mit seinem Bruder und mit dem Herausgeber der AIZ, Willi Münzenberg, ins Exil flüchten, sie gingen nach Prag und führten von dort ihre Arbeit weiter. Die deutschen Verhältnisse blieben Hauptthemen, aber der Spanische Krieg, die Entwicklungen in Frankreich und Italien, die Drohkulisse gegen die Sowjetunion waren nicht nur vereinzelt, sondern regelmäßig im Fokus der Zeitschrift, also auch von John Heartfield. 1938 wurde der Gruppe klar, dass die Besetzung der Tschechoslowakei durch die deutschen Faschisten und ihre Wehrmacht ein weiteres Exil notwendig machte. Gemeinsam mit seinem Bruder floh er nach Großbritannien, die britischen Behörden begegneten solchen „Elementen“ mit Misstrauen, sie wurden für mögliche sowjetische Spione gehalten. An eine regelmäßige Arbeit war nicht zu denken, die AIZ erschien nicht in englischer Sprache, der Malik-Verlag seines Bruders konnte nicht Fuß fassen. Wieland Herzfelde ging 1939 in die USA, John blieb in England. Lange Zeit konnte er überhaupt keinerlei Arbeit aufnehmen, sein Visum wurde zwar immer verlängert, aber eine reguläre Arbeit war ihm strengstens untersagt. Er war dank seines großen Freundes- und Bekanntenkreises weder isoliert noch mittellos, er fand Aufnahme im „Freien Deutschen Kulturbund“ und arbeitete wie gewohnt für Exilgruppen von Theaterleuten und die nicht sehr häufigen „Newsletter“ des Bundes und anderer Exilorganisationen. Der entscheidende Aspekt seiner zwölf Exiljahre in England war gewiss, dass sein Wirken als politischer Satiriker damals endete. Das Land erwies sich für Heartfield als schlechter Ort für seine Art der politischen Kommentierung. Es gab dort weder eine Tradition für sie noch die Medien, in denen sie Verbreitung und Verständnis hätte finden können.
Ende August 1950 kehrte Heartfield nach Deutschland zurück. Warum so spät? Es gab Vorbehalte gegenüber kommunistischen Emigranten, die in den „komfortablen“ Westen geflohen waren und nicht in die Sowjetunion. Einige Emigranten hatten spioniert oder waren immer noch Spione der westlichen Mächte, waren „umgedreht“ worden, entsprechend das Misstrauen. Heartfield bekam nur wenige Aufträge, zumeist für Theateraufführungen, seine grafischen Arbeiten der früheren Zeit gerieten unter die Räder der leidigen Formalismusdebatte. In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Heartfield kaum noch neuen Projekten, stattdessen wirkte er zusammen mit seinem Bruder, der ebenfalls aus dem Exil zurückgekehrt war, darauf hin, für beide eine nachhaltige Reputation ihrer Arbeit zu schaffen. Bruder Wieland fuhr seinen Verlag an die Wand, einiges übernahm dann später der Aufbau-Verlag, er selbst übernahm eine Professur in Leipzig und starb 1988 in Berlin. John Heartfield organisierte selbstständig Ausstellungen seiner Bilder, leider kam er manches Mal auf die Idee, „Nachbearbeitungen“ zu produzieren, um ihnen eine „zeitlose“ Dimension zu geben. Erst später haben Kuratoren und Katalogmacher diese Sünden wieder rückgängig gemacht, die ursprünglichen Texte und Erscheinungsdaten wieder an die richtige Stelle gebracht.
Heartfield ist wie alle Künstler „ein Kind seiner Zeit“, das Beschwören einer überzeitlichen, sogar ewigen Bedeutung von Kunst ist purer Idealismus. Viel wichtiger ist, Heartfield löste und löst immer noch Debatten aus über Fotografie, ihr Verhältnis zur Realität durch ihre Möglichkeiten zur Montage, über Kunst und politisches Engagement, über Kunst und Propaganda. Heartfield sah seine Arbeiten als Möglichkeiten, der Arbeiterklasse und ihren Verbündeten die Welt, in der sie lebten, begreifbarer zu machen. Wer begriffen hat, kann verändern.