In einer seiner ersten öffentlichen Reden nach seiner Vereidigung hat der neu gewählte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 9. Oktober bei der Übergabe seiner alten Amtsgeschäfte an Christian Lindner (FDP) geäußert, Deutschland müsse sich schon jetzt auf die nächste Krise vorbereiten und dafür Reserven anlegen. Am Anfang seiner Amtszeit steht also dieses Wörtchen: Krise.
Damit soll die breite Bevölkerung frühzeitig auf Einschränkungen vorbereitet werden. Diese Einschränkungen, weiß das Volk tief in seinem Inneren, werden aber nicht alle treffen – sonst hätte es nicht das Wort „Krisengewinnler“ erfunden.
Krisenverlierer sind wegen der jetzt schon steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten vor allem alle diejenigen, die für das Bestreiten ihres Lebensunterhalts angewiesen sind auf Lohn, Lohnersatzleistungen und Renten, also kein Vermögen haben, auf das sie zurückgreifen könnten. Sie sind aber nicht die Einzigen. Die Wirtschaftsauskunftei „Creditreform“ wies just am Tag der Regierungsneuwahl darauf hin, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2021 zwar auf gut 14.000 gesunken, die Zahl der Privatinsolvenzen aber um fast 60 Prozent auf bis 122.100 gestiegen sei. Darunter würden sich, erklärte Patrick-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung der Auskunftei, auch „einige unternehmerische Insolvenzen“ verstecken – also von Scheinselbstständigen. Weiter erläuterte er, dass der Blick auf die rückläufige Zahl von Unternehmensinsolvenzen nicht zu dem Trugschluss verleiten dürfe, den Unternehmen ginge es gut – viele würden sich nur mithilfe der Corona-Hilfen knapp über Wasser halten können. Schon jetzt gibt es Signale vor allem aus den Bereichen Kultur, Gastronomie, Einzelhandel und Tourismus, dass die vierte Welle viele Boote, die sich bisher noch gehalten haben, nun unter Wasser drücken wird, zumal viele der staatlichen Hilfen als Kredite ausgereicht wurden, deren Fälligkeitstag früher oder später kommt.
Im scharfen Kontrast dazu steht die Situation der Monopole des Landes. Alfred Hartung hatte in UZ vom 26. November bereits darauf hingewiesen, dass Daimler, VW, BMW, Tesla im ersten Halbjahr 2021 Rekordgewinne erwirtschaftet haben, VW sogar das beste Betriebsergebnis seiner Geschichte. Das ist nicht auf die Automobilindustrie beschränkt. Das „ManagerMagazin“ meldete am 9. Dezember, dass die Exportindustrie insgesamt trotz der viel zitierten Lieferkettenprobleme, die im Moment öffentlich für die Preissteigerungen herhalten müssen, „so kräftig gewachsen (sind) wie seit über einem Jahr nicht mehr. Sie legten um 4,1 Prozent zum Vormonat zu.“ Allgemein bekannt sind andere Profiteure der Krise: Amazon floriert, während vielen kleinen Einzelhändlern das Wasser bis zum Hals steht.
Aus marxistischer Sicht bestätigt das aktuelle Bild unsere Analyse vom staatsmonopolistischen Kapitalismus, in dem wir hier in Europa noch feststecken: In der Krise weiten die Monopole auf Kosten sowohl der lohnabhängigen Bevölkerung als auch der kleinen und mittleren Unternehmen ihre Profite und ihren Einflussbereich aus. Das geschieht zurzeit vor allem durch zwei Methoden. Zum einen sind sie – mit Verweis auf „Lieferengpässe“ – in der Lage, die vor 2019 vielfach gewährten Rabatte zu streichen. Selbst wo die Listenpreise stabil bleiben (zum Beispiel bei Autos oder auch in der Bauindustrie), steigen die effektiv gezahlten Preise und damit die Profite derer, die das am Markt durchsetzen können.
Zum zweiten florieren gegenwärtig vor allem diejenigen Monopole, die das nötige Kleingeld und die politischen Verbindungen haben, um im Vorgriff auf den zu erwartenden Klimawandel-Geldsegen der neuen Regierungskoalition ihre Produktpalette zu entkarbonisieren. Das sind vor allem die großen Konzerne wie VW und die Elektroindustrie, die, wie es in der Wirtschaft häufig heißt, im nächsten Jahrzehnt eigentlich nur den Löffel raushalten muss, um den Brei zu bekommen, den es regnet. Jammern werden sie trotzdem – schon weil im nächsten Jahr bei ihnen Tarifrunden ins Haus stehen. Das Jammern wird genutzt, um so viel Steuergeld wie möglich in die Konzerntaschen zu leiten. Gegenwärtiger deutscher Meister in dieser Disziplin ist die Chemieindustrie, die vorgerechnet hat, sie brauche künftig jedes Jahr so viel billigen Strom wie bisher alle Unternehmen und Einzelverbraucher in ganz Deutschland verbraucht haben, um die Klimaschutzforderungen des neuen Wirtschaftsministers zu erfüllen.