Monatlich 31 Tage Rufbereitschaft

Werner Sarbok im Gespräch mit Jan von Hagen

Jan von Hagen

Jan von Hagen

Jan von Hagen, selbst gelernter Krankenpfleger, ist Gewerkschaftssekretär bei ver.di NRW und zuständig für die Krankenhäuser und psychiatrischen Kliniken in Nordrhein-Westfalen.

UZ: Wie kann die Entlastung aussehen? Welche Forderungen werden innerhalb von ver.di diskutiert?

Jan von Hagen: Die Diskussion nach guten und mobilisierenden Forderungen findet momentan bundesweit in den Krankenhäusern statt. Klare Priorität als erste Forderung hat die nach mehr Personal, egal ob in der Pflege oder in allen anderen Bereichen. Hier liegt die größte Energie drin und auch die klare Erkenntnis, dass jede andere Forderung ohne mehr Personal nicht zu wirklicher Entlastung führen wird.

In allen Schichtdienstbereichen spielt auch die Forderung nach verlässlicher Arbeitszeit eine große Rolle. Die Beschäftigten werden regelmäßig im Frei angerufen und aufgefordert, kurzfristig einzuspringen und Dienste zu tauschen. Im Rahmen der NRW-Auftaktveranstaltungen zum Tarifvertrag Entlastung hat es eine Pflegekraft auf den Punkt gebracht: „Eigentlich habe ich 31 Tage im Monat Rufbereitschaftsdienst, mein Privatleben kann ich gar nicht mehr verbindlich planen.“ Diese Dauerbelastung macht auf Dauer natürlich genauso krank wie die ständige Unterbesetzung während der Arbeitszeit. Insofern stehen Forderungen nach verbindlichen Dienstplänen, Begrenzungen von bestimmten Schichtfolgen und ausreichend Ruhetage nach belastenden Diensten ebenfalls weit vorne. Den dritten Teil der Forderungen macht der Bereich Belastungsausgleich aus. Wenn belastende Dienste sich häufen, brauchen die Beschäftigten zeitnah einen Ausgleich durch Entlastung, freie Tage oder ähnliches. Und nicht durch Geld in Form von Zuschlägen. Die Beschäftigten wollen sich ihre Gesundheit nicht mehr abkaufen lassen, auch wenn bei dem Verdienst in den Krankenhäusern auch noch einiges zu verbessern wäre.

UZ: In der heutigen Diskussion haben die „Tarifberater“ eine große Rolle gespielt. Was hat es damit auf sich?

Jan von Hagen: Den bundesweit ersten Tarifvertrag mit Regelungen zu mehr Personal haben die ver.di-KollegenInnen an der Berliner Charité erstreikt. Um die entsprechende betriebliche Stärke zu erreichen haben sie das Konzept der TarifberaterInnen entwickelt. Dies sieht vor, das in jedem Arbeitsbereich, also zum Beispiel auf jeder Pflegestation, in jeder Funktionsabteilung und in jedem Reinigungsbereich eine Kollegin oder ein Kollege die Aufgabe übernimmt, als TarifberaterIn das Bindeglied zwischen ver.di-Tarifkommission und der Belegschaft zu sein. So kann sichergestellt werden, dass es passgenaue Diskussionen zu Entlastungsforderungen in den jeweiligen Bereichen gibt, die über die TarifberaterInnen bei der ver.di Tarifkommission landen. Verhandlungszwischenstände können direkt und zeitnah in die Teams gegeben werden, um sie dort zu diskutieren und einzuschätzen, ob sie ausreichend sind oder falls nicht, in welcher Form das Team bereit ist, für weitergehende Forderungen auch bei Aktionen und oder Streiks dabei zu sein. Die TarifberaterInnen werden für diese Aufgabe zunächst im Betrieb geschult und sind während der kompletten Tarifauseinandersetzung eng in die Kommunikation und Planung mit eingebunden. So kommt die ganze Tarifauseinandersetzung, die gerade in Flächentarifverträgen weit weg vom eigenen Erleben der KollegenInnen ist, nahe an die Teams und Beschäftigten und wird zu ihrer eigenen Auseinandersetzung.

UZ: Welche Erfahrungen gibt es bisher mit der Gewinnung? Welche Aktionsformen hat ver.di bisher entwickelt?

Jan von Hagen: In den Krankenhäusern, wo wir den Beschäftigten das Tarifberatermodell vorstellen, trifft es auf hohe Zustimmung. Zum Thema Be- und Entlastung sind viele KollegenInnen bereit, als TarifberaterInnen Verantwortung zu übernehmen, egal ob sie schon gewerkschaftlich organisiert sind oder noch nicht. Neben Infoveranstaltungen und Flugblättern ist das zentrale Mittel zur Gewinnung von TarifberaterInnen aber das persönliche Gespräch. Die ver.di-Vertrauensleute oder –Aktiven gehen durch die Bereiche und z. B. in Teamsitzungen und klären mit den Teams oder mit Interessierten, wer Interesse daran hat. Viele KollegenInnen reagieren sehr positiv, umso mehr, je konkreter die Auseinandersetzung um mehr Personal im Krankenhaus wird. Im Saarland haben wir als ver.di gerade alle 21 Krankenhäuser, darunter auch elf kirchliche, zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Die Grundlage für diesen mutigen Schritt waren die hohe Anzahl von Stationen und Arbeitsbereichen, in denen es bereits TarifberaterInnen gibt.

UZ: In Hamburg wird der Kampf der Gewerkschaft von „außen“ unterstützt, ein Solikreis hat den Hamburger Appell initiiert, um mit einer Unterschriftenaktion der Forderung von ver.di ein größeres Gewicht zu verleihen? Sollte das Schule machen?

Jan von Hagen: Eindeutig ja! Sowohl an der Charité als auch im Saarland und jetzt in Hamburg brauchen wir zur Unterstützung der betrieblichen Kämpfe Bündnisse, die das Thema „Mehr Personal im Krankenhaus“ auch öffentlich zum Thema machen. Das „Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ wird durch die breite Unterstützung in den Stadtteilen, die Öffentlichkeitsarbeit und die konkrete Unterstützung der betrieblichen Arbeit in den Phasen der Organisierung und Auseinandersetzung als klarer Erfolgsfaktor benannt. Insofern ist das Ziel, an möglichst vielen Orten in der Bundesrepublik mit verschiedenen Arten von Bündnissen die große Auseinandersetzung um mehr Personal im Krankenhaus zu unterstützen. In vielen Bundesländern, u. a. in Hamburg, Niedersachsen und dem Saarland gibt es mittlerweile ähnlich lautende „Appelle für mehr Krankenhauspersonal“, die von allen BürgerInnen unterschrieben werden sollen, um zu zeigen, dass es nicht nur eine Auseinandersetzung der Krankenhausbelegschaften ist. Den Bedarf nach guter Versorgung und Pflege hat ja jede(r) einmal.

UZ: Wo siehst du die Aufgabe der DKP? Was kann die Partei organisatorisch leisten, und was wäre ihr inhaltlicher Part?

Jan von Hagen: Natürlich sollte sich die Partei, da wo Bündnisse entstehen inhaltlich und organisatorisch einbringen. In einigen Kreisen haben wir ja Erfahrung auch in Auseinandersetzungen um z. B. Privatisierungen von Kliniken, daran gilt es anzuknüpfen. Und auch die Unterstützung der ver.di-Unterschriftensammlungen sollte Teil unserer Arbeit werden. Da die Ausein­andersetzung nächstes Jahr sowohl in den Betrieben als auch im Bundestagswahlkampf und bei den drei Landtagswahlen eine zentrale Rolle spielen wird, macht es sicherlich Sinn, sich auf einer Mitgliederversammlung einmal inhaltlich mit dem Thema auseinander zu setzen. Inhaltlich gilt es aufzuzeigen, dass es nicht nur eine grundlegende Fehlsteuerung in der Krankenhausfinanzierung sowie der kompletten Refinanzierung der sozialen Arbeit gibt, sondern dass es auch möglich ist, gute Arbeitsbedingungen und gute Versorgung für PatientenInnen sicher zu stellen. Dafür bedarf es einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Im Rahmen der aktuellen Krankenhausfinanzierung werden die berechtigten Forderungen von Personal und PatientenInnen nicht erfüllbar sein, dafür muss sich Politik bewegen. Und damit sind die Auseinandersetzungen um mehr Personal im Krankenhaus auch ein Infragestellen der jetzigen Verteilungspolitik.

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"Monatlich 31 Tage Rufbereitschaft", UZ vom 16. Dezember 2016



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