Wissenschaftliche Weltanschauung heißt Integration aller handlungsorientierenden Vorstellungen in eine Idee von Welt, die an Erkenntnis und Verfahrensweisen der Wissenschaft beim Entwurf eines Gesamtzusammenhangs gebunden ist. Dazu gehört der Ausschluss irrationaler Begründungen und die Reflexion des eigenen Standorts im Beziehungsnetz menschlichen Zusammen- und Gegeneinanderwirkens. Dazu gehört die Fixierung auf ein Handlungsziel, dessen Inhalte die weitere Entfaltung der historisch gegebenen Möglichkeiten humanen Daseins und mithin Fortschritt bedeuten. In diesem Sinne liegt die geschichtliche Wahrheit in der Annäherung an ein anzustrebendes Ideal von Menschlichkeit, das Marx das ‚Reich der Freiheit‘ nennt.“ (Seite 345) Diese Sätze aus dem Artikel über Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte könnten dem Sammelband „Dialektik und Debatten“ als Thema vorangestellt werden.
Der Band leistet genau das, was er verspricht, nicht mehr und nicht weniger – eine Zusammenstellung der Beiträge des marxistischen Philosophen Hans Heinz Holz (1927 bis 2011) in der Tageszeitung „junge Welt“. Damit erhält man nichts, was völlig neu oder nicht zugänglich wäre. Der Wert liegt vielmehr im Überblick, den man so über Holz‘ publizistisches Wirken in der jüngeren Vergangenheit gewinnt – ein meist unterbelichteter Bereich seines Schaffens, obwohl Holz sein Leben lang immer wieder journalistisch und publizistisch tätig war. Die Beiträge in dem Band sind thematisch sortiert; die verschiedenen Abschnitte verdeutlichen das breite Wirken des Autors: Sie umfassen Fragen der Kunsttheorie wie solche des Rechts oder der Religion. Ein eigener Abschnitt gilt der Dialektik, andere widmen sich seinem politischen Denken.
Die Gliederung kann dabei lediglich als Orientierungshilfe dienen, denn die Beiträge sind nicht trennscharf zu unterteilen. Sein philosophisches und politisches Denken durchzieht den ganzen Band, so dass sich etwa im Artikel zu Fidel Castro statt eines biografischen Abrisses Reflexionen über dessen Anknüpfen an aufklärerische Traditionen finden. Wiederholt tauchen Denker auf, die Holz selbst geprägt haben – Hegel, Bloch, Gramsci und natürlich Leibniz. Beiträge auch aus seinerzeit aktuellen Anlässen sind angereichert durch kenntnisreiche Bezüge auf die – nicht nur europäische – Geschichte. Die politische Standortbestimmung der letzten Päpste vollzieht Holz anhand der Agenda ihrer namensgleichen Vorbilder nach, die Rolle des Dalai-Lamas anhand der Entwicklung Tibets. Eingestreute persönliche Erinnerungen – etwa an die Begegnung mit Johannes R. Becher als 19-Jähriger, den Austausch mit Peter Hacks oder die Aktionen zu den Notstandsgesetzen – sind keine Nabelschau oder bloße Auflockerung: „Zeitzeugenschaft nicht wahrzunehmen ist Verzicht auf historisches Rohmaterial.“ (Seite 100) Statt zum Durcharbeiten von vorne bis hinten lädt der Band ein zum Schmökern. Immer wieder bleibt man an einer Stelle hängen, denn aus der Zusammenstellung der Beiträge kann man viel lernen über die eingangs zitierte „Integration aller handlungsorientierenden Vorstellungen in eine Idee von Welt“. Holz zeigt den Wert des Wissens um die Geschichte der kommunistischen und Arbeiterbewegung sowie ihrer Intellektuellen. Insbesondere verdeutlicht er, welche Rolle philosophische Überlegungen für politische Fragen spielen, denn „Philosophie wird als ein Moment des Klassenkampfs begriffen“. (Seite 354)
Für politisch aktive Kommunisten in und um die DKP ist der Band noch aus weiteren Gründen interessant. Erstens findet sich in dem Band ein Stück Parteigeschichte wieder. Der Abschnitt „Debatten“ umfasst schließlich Holz‘ Beiträge zu den Debatten in der DKP, so etwa ein Resümee über das 2006 verabschiedete Parteiprogramm, an dessen Erarbeitung er maßgeblich mitwirkte. Zweitens zeigen die Beiträge, wie sich Holz bis in die jüngste Vergangenheit mit linken Intellektuellen auch außerhalb der DKP auseinandergesetzt hat. Damit bildet der Band Theoriedebatten ab, deren Aneignung nicht immer leichtfällt, da sie schließlich abseits des publizistischen Mainstreams geführt worden sind. Dass Texte, auf die Holz sich direkt bezieht, nicht Bestandteil des Bandes sind, stört dabei nur wenig: Seine Beiträge sind so reich an Gedanken, dass sie auch für sich stehen können.
Immer wieder taucht das Verhältnis von Moralität und Historizität auf wie auch die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus – wenig überraschend angesichts der Debatten innerhalb der kommunistischen Bewegung nach der Konterrevolution. Holz macht dabei klar, warum ein Eintreten für den Sozialismus notwendig ist, trotz oder gerade wegen der historischen Niederlage. Und warum eine Orientierung auf Parlamentarismus oder Reformkämpfe und die Preisgabe marxistischer Kategorien des politischen Handelns keinen Neuanfang darstellen, sondern vielmehr das Ende kommunistischer Identität. Den Grund dafür, gegen alle Spielarten des Revisionismus gerade mit philosophischen Argumenten zu polemisieren, verrät Holz in einem der Artikel: „Was Lenin seit der Polemik gegen die Empiriokritizisten erkannt hat und aussprach, ist die Tatsache und innere Notwendigkeit, dass jede revisionistische Strategie allgemeinen philosophisch-weltanschaulichen Voraussetzungen entspringt und sich zu ihrer Rechtfertigung auf sie stützt.“ (Seite 358)
Über Hacks schreibt Holz, er habe „genau auf begriffliche Schärfe“ geachtet: „Vagheit war ihm zuwider. Auch Inkorrektheit im Faktischen.“ (Seite 243) Gleiches ließe sich von ihm selbst sagen. Mit den Beiträgen zeigt er, wie man in politischen Auseinandersetzungen Position bezieht und Spitzen setzt, ohne ausfällig zu werden. Diese sind Ausdruck von Parteilichkeit, die sich der Debatte nie verschließt. Scharf im Ton wird Holz dann, wenn sein Opponent unscharf wird im Denken und damit de facto den Herrschenden das Wort redet – ein Beispiel: „Wo bitte geht’s zum Kommunismus? Nur auf dem Wege der Dialektik der Vernunft. Was außerhalb dieser Dialektik sich auf ein einfach moralisierendes Bewerten, gar auf ein bloßes Unwort zum Verwerfen beschränkt, bleibt bloßes Geschwätz.“ (Seite 92)