Die Innere Führung der Bundeswehr wirbt um Rekruten – mit einem Comic

Mörderischer Feinsinn

Bens Urgroßvater trug einen Stahlhelm und hat auf einen Führer geschworen. Sein Großvater hat beim Spielen in den Berliner Trümmern eine Hand verloren – sonst hätte er in der NVA dienen müssen. Am Tag der Musterung seines Vaters fiel die Mauer, da hat er Zivildienst gemacht. Und Ben? „Ben dient Deutschland“.

So platt der Titel von Tom Fiedlers Comic, den er im Auftrag des „Zentrums Innere Führung“ der Bundeswehr gezeichnet hat, auch ist: Hier kommt das Werben fürs Sterben eben nicht platt daher, sondern ist eine überaus moralvolle Angelegenheit. Denn Ben hat ein Gewissen. Und er will sich das Denken nicht verbieten lassen. Und er hat eine Schwester, die nicht versteht, warum ihr Bruder Soldat werden will. Aber Ben zieht durch. Schließlich geht es um was.

Auf 121 Seiten können dann mögliche Rekrutierungsopfer genau lesen, dass in der Bundeswehr alles mit rechten Dingen zugeht. Es darf sich über die Wortwahl des Ausbilders („Heute machen wir keine Gefangenen“) beschwert werden („Aber seine Sprache finde ich nicht korrekt“), und überhaupt ist alles ganz human geregelt – von Völkerrecht bis Genfer Konvention. Befehle müssen sogar nicht befolgt werden, wenn sie gegen die Menschenwürde verstoßen – und dürfen nicht befolgt werden, wenn sie eine Straftat oder ein „schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht“ wären. Was ein leichter Verstoß gegen das Völkerrecht ist, erklärt Tom Fiedler nicht. Vielleicht der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo? Kommt auch vor im Comic: „Ziel war eine humanitäre Intervention zur Unterbindung von Gewaltaktionen und gegen die Unterdrückung der albanischen Bevölkerung. Russland hatte einen UN-Sicherheitsbeschluss blockiert, der Bundestag billigte die NATO-Luftangriffe dennoch. Völkerrechtlich ist dieser Einsatz bis heute umstritten.“ Dass bei der „Operation Allied Force“ unter anderem auch die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert wurde, behält der Comic für sich. Würde wahrscheinlich auch den braven Rekruten Ben bei seiner Suche nach der „guten Sache“ stören. Dafür trifft Ben einen freundlichen Rabbi, der ihm erklärt, dass im jüdischen Glauben „nicht zu morden“ zu „den wichtigsten Geboten“ zählt. „Aber sich zu verteidigen ist auch wichtig.“ Eine US-Amerikanerin dankt ihm im Zug „for your service“, er erfährt, was in der christlichen Ökumene „gerechter Frieden“ ist und dass man in Patrouillenhaltung immer an den „kackenden Fuchs“ denken soll.

Und natürlich erfährt er alles über den „inneren Kompass“ und darüber, dass man sich in Gruppen immer an dem orientiert, was dort als „normales Verhalten“ gilt. Weswegen die Truppe natürlich reingehalten wird von Individuen wie Bens Stubenkumpel, der schon Kriegsverbrechen für den Ernstfall plant. Noch ein Grund für das lesende potentielle Kanonenfutter, demnächst brav seinen Musterungsbogen auszufüllen und sich anwerben zu lassen: Wenn es gute Leute mit Moral in der Bundeswehr gibt, begeht diese auch keine Kriegsverbrechen.

Natürlich guckt Ben auch ganz ab und zu mal in sein Handy, um die Nachrichten zu checken (zumindest wenn seine Schwester mit dem Peace-Pullover ihm das sagt). Und wie der Zufall es will, ist es just 2014, als Ben sich entscheidet, zur Bundeswehr zu gehen. Und natürlich will es Tom Fiedler, der sich schon mit seinem Band „Invictus – Der Weg zurück ins Leben“ als großer Kriegsfan entpuppt hat, nicht dabei belassen. „Sieben Jahre später“ ist das letzte Kapitel vom dienenden Ben angebrochen. In Litauen, denn der böse Russe (der ja schon den UN-Sicherheitsratsbeschluss verhindert hat, siehe oben) hat die Ukraine überfallen.

Mit dem Auftragswerk („Auch die Soldaten und Soldatinnen des Zentrums für Innere Führung in Koblenz baten um ein Werk in eigener Sache“, bundeswehr.de) „Ben dient Deutschland“ ist das Werben fürs Sterben in eine neue Phase eingetreten. Soldaten sind feinfühlige Wesen mit einem hohen moralischen Kompass, es ist laut bundeswehr.de ein „fein beobachtetes Werk über Ben und seinen sicher nicht konfliktfreien Weg zum Soldaten, verknüpft mit deutscher Geschichte, internationaler Politik und persönlichen Widersprüchen. Ein Buch für junge Menschen, die nicht nur bequeme Entscheidungen für ihr Leben treffen wollen. Denn eines ist klar: Ohne diese Jugend wäre die deutsche Demokratie weder wehrhaft noch verteidigungsfähig.“

Die Jugend soll nicht mehr nur durch Perspektivlosigkeit in die Bundeswehr gelockt werden. Vorbei ist es mit der reinen Macho-Abenteuerspielplatz-Gemeinschaftsgefühlwerbung. Wer Verantwortungsgefühl hat in Zeitenwendezeiten, der geht zur Bundeswehr. Trotz aller moralischen Bedenken. Egal, wie schlimm die Stubenkameraden, egal, wie schlimm der eigene Zweifel ist – der im Comic immer gesichtslos bleibende Russe ist schlimmer.

Wenn die Kriegstreiber in diesem Land bei ihrer Haltung bleiben, kann sich Fiedler bald an einen Nachfolgeband machen. „Ben stirbt für Deutschland“ richtet sich dann vielleicht nicht mehr an Jugendliche, sondern an Kinder. Damit sie verstehen, wegen welcher guten Sache ihre Eltern nicht mehr nach Hause kommen.

Tom Fiedler
Ben dient Deutschland
Broschüre, 124 Seiten
Nur als Download verfügbar:
publikationen-bundesregierung.de

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"Mörderischer Feinsinn", UZ vom 25. Oktober 2024



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