Die Umweltpolitik in der Bundesrepublik setzt auf den Markt, der die Probleme richten soll. Eines dieser marktorientierten Instrumente ist das System der sogenannten „Ökopunkte“. Dahinter verbirgt sich eine nette Idee, doch wie Recherchen des ARD-Politmagazins „Report Mainz“ nun gezeigt haben, taugt es nichts. Umweltschützer sprechen sogar von „modernem Ablasshandel“.
Hinter den „Ökopunkten“ steht das Bundes-Naturschutz-Gesetz. Wenn jemand bauen will, sei es eine Stromleitung, eine Windkraftanlage, einen Schweinestall oder neue Firmengebäude, ist das ein Eingriff in Natur und Landschaft. Für diesen Eingriff muss ein Ausgleich erfolgen: Soll beispielsweise eine bestimmte Fläche betoniert, also versiegelt werden, kann als Ausgleich eine andere Fläche entsiegelt oder ökologisch aufgewertet werden. Aktuell sind es rund 60 Hektar, die jeden Tag in Deutschland versiegelt werden.
Lange Zeit wurden häufig eigene Flächen dafür verwendet oder es mussten Flächen extra zu diesem Zweck aufgekauft werden. Mit den „Ökopunkten“ soll das anders werden, mit ihnen soll es möglich werden, auch Flächen anderer mit geeigneten Maßnahmen aufzuwerten. Landeigentümer können sich Maßnahmen, mit denen ihre Flächen ökologisch aufgewertet werden, von der Unteren Naturschutzbehörde anerkennen lassen. Dafür werden „Ökopunkte“ vergeben, die dann frei verkaufbar sind.
Mit anderen Worten: Wer zum Beispiel seinen Acker in eine Wiese umwandelt, kann sich bei der Kommune oder dem Landratsamt „Ökopunkte“ gutschreiben lassen, weil die Wiese als ökologisch wertvoller angesehen wird. Die Punkte dürfen dann zum Beispiel an einen Bauträger weiterverkauft werden, wenn dieser über keine gesetzlich vorgeschriebenen Flächen für den Ausgleich seines Vorhabens besitzt. Die „Ökopunkte“ dürfen auch aus einer weit entfernten Kommune gekauft werden.
Im „Report“ wird ein Beispiel aus der Praxis genannt: Auch das Baugebiet für das neue Amazon-Logistikzentrum bei Mönchengladbach sei mit Ökopunkten ausgeglichen worden. Das Bauwerk nehme eine Fläche von über 130000 Quadratmetern ein, und die Baubehörde habe dafür 240000 „Wertpunkte“ als Kompensation festgelegt. Mehr als die Hälfte davon sei von einem ehemaligen Sportplatz gekommen, der zu einem Auwald umgewandelt werden soll.
„Report Mainz“ hat nun herausgefunden, dass das System nicht funktioniert. Zwar anerkennen bereits die meisten Bundesländer dieses System. Doch wie sich darüber hinaus feststellen ließ: Die meisten Umweltministerien wissen gar nicht, wieviele „Ökopunkte“ in ihrem Land registriert sind oder gehandelt werden.
Kritik kommt unter anderem vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Laut Report sagte ein BUND-Vertreter, wir erlebten im Moment in der Bundesrepublik, „dass immer mehr gebaut wird“, aber für die zubetonierten Flächen würde kein realer Ausgleich geschaffen. Auch hierfür kann die Fläche für das Amazon-Logistikzentrum angeführt werden. Der zubetonierten Fläche von über 130000 Quadratmetern steht der Sportplatz gegenüber, der für die Umwandlung in einen Auwald mehr als die Hälfte der benötigten Punkte bringt. Er hat aber nur eine Fläche von rund 8 500 Quadratmetern.
Forscher der Universität Freiburg hatten sich des Themas auch schon einmal angenommen und haben 26 Ausgleichsmaßnahmen in Baden-Württemberg beispielhaft untersucht. Das Ergebnis zeigt, wie wenig das System der „Ökopunkte“ wirkt. Fast 30 Prozent der Ausgleichsmaßnahmen seien nie umgesetzt worden. Oft werde versucht, „möglichst viele anrechenbare Ökopunkte auf möglichst wenig Fläche zu generieren“. Zu ähnlichen Ergebnissen seien auch aktuelle Studien aus Bayern und Schleswig-Holstein gekommen. Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis: „Der Wert der Eingriffsregelung für den Naturschutz ist, gemessen an seiner eigenen Zielsetzung, eher enttäuschend.“
Dennoch sind die „Ökopunkte“ ein lukratives Geschäft. Private Anbieter, Stiftungen und sogenannte Flächenagenturen handeln mit ihnen. Mittlerweile sollen sie schon auf Internetplattformen wie ebay angeboten werden.
Die Politik sieht sich nicht zuständig für die Probleme, die mit dem System der „Ökopunkte“ einhergehen. Das Bundesumweltministerium verwies laut „Report Mainz“ auf die jeweils zuständigen unteren Naturschutzbehörden, die in der Regel bei den Kommunen oder bei den Landkreisen angesiedelt sind. Doch die seien mit der Kontrolle und der Bewertung von Ökopunkte-Maßnahmen völlig überfordert, betonte der interviewte BUND-Vertreter.