Schnelle Eingreiftruppe und Luftkrieg: Frankreichs neue Strategie in Westafrika

Mobiler Imperialismus

Zwei ungewöhnliche Ankündigungen aus dem Élysée-Palast werfen neues Licht auf Frankreichs Politik in Westafrika. Ende Mai verkündete der französische Präsident Emmanuel Macron, die 5.100 in Mali stationierten französischen Soldaten abziehen zu wollen. Mitte Juli hieß es, Frankreich wolle die Zahl seiner Soldaten in Westafrika halbieren. Lässt Frankreich seine ehemaligen Kolonien etwa an die lange Leine?

Seit acht Jahren führt Frankreich in Mali Krieg. Die Operation „Serval“ und ihren Nachfolger „Barkhane“ wertet „Jeune Afrique“ (JA), das reichweitenstärkste panafrikanische Wochenmagazin, als wichtigsten Auslandseinsatz des französischen Militärs im 21. Jahrhundert. Eliteeinheiten sichern dort den Zugriff französischer Konzerne auf Rohstoffe wie Gold, Uran, Erdöl, Erdgas, Phosphat, Kupfer, Bauxit und Edelsteine gegen islamistische Milizen ab. Die sind ein teils hausgemachtes Problem: Viele Waffen aus Libyen gelangten nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis, an dem Frankreich sich mit der „Opération Harmattan“ beteiligt hatte, in die Hände islamistischer Terrororganisationen im Sahel. Ihren vorgeschobenen Zweck, die lokale Bevölkerung vor deren Angriffen zu schützen, erfüllten die französischen Militäreinsätze nicht.

Die militärische Präsenz der alten Kolonialmacht wird in Westafrika immer kritischer gesehen. Für große Wut sorgten Aktionen wie die Bombardierung einer „Gruppe dschihadistischer Terroristen“ im Januar, die in Wirklichkeit eine Hochzeitsgesellschaft war. 19 Menschen starben. Auch in Frankreich wächst der Unmut über den Einsatz in Mali. Mindestens 38 französische Soldaten sind dort bisher ums Leben gekommen. Macrons Strategiewechsel dürfte auch mit der Präsidentschaftswahl im April 2022 zu tun haben.

Vor der „Unabhängigkeit“ seiner Kolonien hatte Frankreich 30.000 Soldaten in Afrika stationiert. 1980 waren es noch halb so viele. Zwischen 2012 und 2014 erhöhte Frankreich seine Truppenkontingente in den ehemaligen Kolonien wieder von 5.000 auf 9.000. Frankreich betreibt heute Militärbasen quer durch Westafrika: in Senegal, Mali, Côte d’Ivoire, Burkina Faso und Niger. „Agence France-Presse“ (AFP) zufolge möchte Paris seine Militärbasen in den malischen Städten Kidal, Tessalit und Timbuktu bis Anfang 2022 schließen. Viele der Soldaten sollen schon in diesen Wochen abgezogen werden. 2.500 bis 3.000 von ihnen verstärken allerdings die neu geschaffene „Task Force Takuba“ in Niamey, der Hauptstadt Nigers.

Macron verdächtigt den malischen Putschpräsidenten Assimi Goïta, radikalem Islamismus den Weg zu bereiten, und sieht in Mohamed Bazoum, Präsident Nigers, einen zuverlässigeren „Partner“. Das Atomstromland Frankreich bezieht gut 40 Prozent seines Urans aus Niger – zu einem Drittel des üblichen Preises. „Takuba“ wird von einer ganzen Reihe EU-Länder getragen, darunter Deutschland. Die Sahel-Staaten Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad sind mit eingebunden. Seit diesem Sommer kämpfen Truppen mehrerer EU-Länder in der Task Force, unter französischer Führung. So spart Paris Kosten, ohne das Zepter aus der Hand zu geben. Die BRD beteiligt sich bis jetzt nicht aktiv an den „Takuba“-Einsätzen.

Die fortan in Niamey stationierten französischen Spezialeinheiten sollen zu einer mobilen schnellen Eingreiftruppe ausgebaut werden, analysiert „JA“, und analog zur Ausbreitung des Dschihadismus in Westafrika überall dort eingesetzt werden, wo gerade „nötig“. Sie stützen sich unter anderem auf das „Kommando der Französischen Streitkräfte in Côte d’Ivoire“ (COMFOR), das über drei technisch gut ausgerüstete Basen, darunter einen Luftwaffenstützpunkt, verfügt und direkt dem Chef des Generalstabes des französischen Militärs unterstellt ist. Der heißt François Lecointre und hat festgestellt, dass der Krieg in Mali „nicht zu gewinnen ist“, weshalb dort statt Landstreitkräften Drohnen und Jagdbomber eingesetzt werden sollen.

In Niamey stehen „Reaper“-Drohnen schon bereit. Deren Kontingent solle erhöht werden, kündigte Ma­cron an, das der Jagdbomber auch. Welche Auswirkungen der Luftkrieg auf die Zivilbevölkerung haben wird, ist den Maliern längst klar. In „Françafrique“, wie der Journalist François-Xavier Verschave die neokoloniale Herrschaft Frankreichs über seine ehemaligen Kolonien einst nannte, bleibt alles beim Alten: Der französische Imperialismus setzt rücksichtslos seine Interessen durch. Das Gros der lokalen Bevölkerung bezahlt dafür mit bitterer Armut, Perspektivlosigkeit und immer öfter mit dem Leben.

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"Mobiler Imperialismus", UZ vom 20. August 2021



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