Die Entscheidung der Biden-Regierung und des dahinterstehenden neokonservativen US-Sicherheitsapparates, die Richtlinien für den Einsatz der US-Nuklearwaffen zu ändern, wird extrem unterschätzt. Kaum jemand berichtet darüber und kaum jemand interessiert sich dafür. Dabei hängt das Schicksal der gesamten Menschheit an den Entscheidungen einer kleinen Zahl US-amerikanischer Nuklearstrategen. Bisher haben diese „Wizards of Armageddon“ (Hexenmeister des Weltuntergangs), wie sie US-Autor Fred Kaplan genannt hat, diese letzte Entscheidungsschlacht noch nicht inszeniert. Das hat nicht wenige dazu verleitet, in ihnen rational agierende Akteure zu sehen, denen das eigene Leben wichtig ist. Skeptiker hatten da schon immer ihre Zweifel.
Dass „Armageddon“ in den letzten 75 Jahren ausblieb, dürfte vor allem daran gelegen haben, dass die „Wizards“ ihre geoökonomischen und geostrategischen Ziele auch so erreichen konnten. Das steht mit dem Aufschwung der eurasischen Mächte und dem Verfall des „Werte-Westens“ aber zunehmend in Frage. Die Kriege in Osteuropa und Südwestasien lassen große Zweifel am Nimbus der als unbesiegbar geltenden, extrem teuren US-Kriegsmaschine aufkommen. Denn, welche Kriege hat das Pentagon in den letzten 75 Jahren tatsächlich gewonnen? Auch die Manöver, die einen Krieg im Südchinesischen Meer simulierten, zeigten desaströse Ergebnisse für die US-Navy und ihre Hilfskräfte.
Aber was bleibt Washington, wenn Russland die gesamte NATO-Rüstungsproduktion in den Schatten stellt, wenn die BRICS dabei sind, die Dollar-Hegemonie zu knacken und China nun die globale industrielle Supermacht repräsentiert?
Washington zeigt in den letzten 20 Jahren ein sich steigerndes Maß an Realitätsverlust. Das politische Personal wie auch die neokonservativen Führungszirkel scheinen zunehmend in einer Echokammer zu operieren, die rationale Entscheidungen strukturell verhindert. Anders noch als im ersten Kalten Krieg sind nun alle diplomatischen Brücken abgebrochen, alle Rüstungsbeschränkungen aufgekündigt. Der Atomkrieg soll führbar gemacht werden. Nicht nur die atomare Drohung, sondern auch der Atomkrieg selbst soll Mittel der Politik werden. Gegen Russland, gegen China, gegen Nordkorea. Zugleich.