Ein Lob an die Casting-Agentur der herrschenden Klasse: Bei der Auswahl der obersten Händeschüttler der Nation hat sie in der alten BRD wie nach der Rückeroberung der DDR bisher elf Mal echte Repräsentanten des Zeitgeistes ausgewählt, die treffend die Verfasstheit der Republik spiegelten.
Der erste in der Reihe, Theodor Heuss (Präsident von 1949–1959), bildete eine personifizierte Brücke von der Weimarer Republik in die Restaurationszeit der BRD. Er galt als Liberaler und als gebildet, weil er oft und gern Schiller zitierte. Im Ausland war er trotz seiner Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz vorzeigbar, weil er sich mit den Nazis nicht weiter eingelassen hatte. Das unterschied ihn von den meisten Politikern der Adenauer-Ära. Viel lag ihm (neben dem deutschen Wald) an der „Entkrampfung der Deutschen“ nach Faschismus und Krieg, sein tieftoniges Gebrabbel bei Rundfunkansprachen wirkte sedierend.
Heinrich Lübke (1959–1969) übernahm das Amt, weil gerade kein Geeigneterer zur Hand war. Der Prototyp des Mitläufers, cerebral im 19. Jahrhundert behaust, hatte für seinen Führer die V1/V2-Versuchsanlage in Peenemünde gebaut samt dazugehörigen Zwangsarbeiter-KZs. Mit Gesichtskreis und Weitblick eines Maulwurfs ausgestattet, wurde er zum Symbol der Stagnationszeit der Adenauer-Ära. Seine gagaesken Weisheiten – die echten wie die erfundenen – machen ihn bis heute zum populärsten in der Präsidentengalerie.
Das Gegenbild zu Lübke, passend zum politischen Aufbruch der späten 60er Jahre, war Gustav Heinemann (1969–1974). Als gebildeter Humanist aus christlicher Überzeugung, der 1950 als Innenminister aus Protest gegen die Wiederbewaffnung zurückgetreten war, lehnte er den „Radikalenerlass“ ab. Dass er zum Amt eine ironische Distanz bewies, hebt ihn aus der Reihe heraus.
Walter Scheel (1974–1979) war eher der Ranschmeißertyp, unbegründeter Optimismus und Freude am volkstümlichen Gesang, gern mit mehreren, blieben von dem ehemaligen NSDAP-Mitglied in Erinnerung. Der Stil des Rheinländers orientierte sich am Karnevalsleitspruch „Allen wohl und niemand weh“, wenn auch der (militärische) Drang nach Osten hin und wieder aufblitzte.
In SA- und NSdAP-Mitglied Karl CarsteNS (1979–1984) fand Helmut Kohls geistig-moralischer Rückwärtswende ihre personelle Entsprechung. Der Mann des Bundesnachrichtendienstes war ein entschiedener Gegner der Friedensbewegung. Antifaschisten schrieben ihn gerne mit großem N und großem S am Ende. Ausgiebig pflegte er seinen Sparren, die Erwanderung Deutschlands. Psychologisch kann das so gedeutet werden, dass er vor seiner Vergangenheit davonlief.
Für seinen Vater, der als Staatsekretär während des Faschismus an der Deportation von Juden aus Frankreich beteiligt gewesen war, konnte Richard von Weizsäcker (1984–1994) nichts. Eher ist ihm anzulasten, dass er als führender Manager des Böhringer-Konzerns Verantwortung für die dortige Dioxin-Produktion trug, Grundstoff für die in Vietnam eingesetzte Massenvernichtungswaffe „Agent Orange“. Achtung gebührt dem ehemaligen Ostfront-Offizier dafür, dass er 1985 das eigentlich Selbstverständliche aussprach: Dass der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung war und dass er den kommunistischen Widerstand würdigte. Seine Aufforderung nach der Einverleibung der DDR durch die BRD, jetzt müsste Besitz geteilt werden, verhallte.
Nachdem sich der ursprüngliche CDU/CSU-Präsidentschaftskandidat Steffen Heitmann durch reaktionäre Sprüche aus dem Konsens gedummbeutelt hatte, sprang als Ersatz Roman Herzog (1994–1999) aus dem Hut: Ebenso reaktionär wie Heitmann, aber klüger in der Wortwahl. Unvergessen seine Auftritte, bei denen er sich gewaltig aufplusterte, um dann Binsenweisheit zu krähen. Als er 1997 schnarrte „Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen“, knallte Gerhard Schröder innerlich die Hacken zusammen und schuf dann als Bundeskanzler zusammen mit seinem Komplizen Joseph Fischer die neoliberale „Agenda 2010“.
Den netten Nachbarn machte uns fünf Jahre lang Johannes Rau (1999 –2004). Auszugleichen sah er als seine Aufgabe, „Versöhnen statt Spalten“ war sein pastoral vorgetragenes Motto. Es zielte vor allem auf die Neubürger in den fünf östlichen Bundesländern. Von der herrschenden Politik forderte der Träumer mehr Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein (vergeblich) und gab sich als Kumpeltyp (erfolgreich).
Flexibilität und Anpassung an die neoliberalen Verhältnisse forderte Horst Köhler (2004–2010) von den Bundesbürgern ein. Schlicht war sein Gedankengebäude tapeziert und er machte immer den Eindruck, sein Amt sei für ihn etwas oversized geschneidert. Man litt bei den Weihnachtsansprachen mit ihm, wenn seine unruhig flackernde Mausaugen Halt am Teleprompter suchten. Als er aussprach, was jeder wusste, nämlich dass deutsche Sicherheits-, sprich, Kriegspolitik, und Wirtschaftspolitik einander bedingen, erntete er aus dem eigenen Lager Kritik. Eingeschnappt trat er zurück.
Seine Auffassung, dass sich politische Tätigkeit auch auszahlen müsse, brachte Christian Wulff (2010–2012) um Amt und Ansehen. Der Vorwurf: Vorteilsnahme.Vorher hatte er aber als bisher jüngster Präsident zusammen mit Gattin Bettina ungewohnten Glamour in den Amtssitz gebracht.
Wulffs Rücktritt spülte Joachim Gauck (2012–17. März 2017) in die Position, bei der Kür zwei Jahre zuvor war er als Kandidat von SPD und Grünen noch gescheitert. Seinem Ruf als Leiter der nach ihm benannten Denunziationsbehörde machte er auch im neuen Job Ehre: Aufgrund seines geringen spezifischen Gewichts schwimmt so einer immer oben. Schwerpunkt seiner Amtszeit blieb der Antikommunismus, den er in der DDR als hoher und respektierter Kirchenfunktionär nicht voll ausleben konnte. So ist sein immer wiederholter orgiastischer Schrei nach „Freiheit“ neben seiner Klebrigkeit zum Markenzeichen geworden. Sicher ist, wir werden zwangsläufig auch nach dem Ende seiner Amtszeit noch viel von dem mediengeilen Gockel hören.