Friedenspreis des deutschen Buchhandels für den Fotografen Sebastião Salgado

Mitfühlender Chronist

Von Thomas Brenner

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Sebastião Salgado. Gold

Sebastião Salgado,

Lélia Wanick Salgado, Alan Riding

Taschen

208 Seiten, 50 Euro

(Abdruck der Fotos mit freundlicher Genehmigung des Verlags)

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Sebastião Salgado

Mein Land, unsere Erde

Nagel & Kimche

192 Seiten, 22 Euro

Zehn Jahre lang war Serra Pelada die größte Goldmine der Welt und galt als neues El Dorado. In ihr arbeiteten etwa 50 000 Goldgräber unter kaum vorstellbaren Bedingungen. 1979 wurde das erste Gold gefunden, 1988 waren es 745 Kilogramm, zwei Jahre später nur noch 250 Kilogramm. Heute ist Brasiliens Goldrausch längst Geschichte und nur noch Stoff für Legenden. Am Leben erhalten werden diese durch ein paar glückliche und viele schmerzliche Erinnerungen der Goldgräber und durch die Bilder von Sebastião Salgado. „Was hat dieses unspektakuläre gelbe Metall nur an sich, dass es die Menschen dazu bringt, ihre Heimat zu verlassen, all ihre Habe zu verkaufen und einen ganzen Kontinent zu durchqueren, um ihr Leben, ihre Knochen und ihre Gesundheit für einen Traum aufs Spiel zu setzen?“, fragte sich der Fotograf.

Salgado schreibt in dem kurzen, in diesem Jahr entstandenen Vorwort zu seinem Buch „Gold“: „Vor mir sah ich ein riesiges Loch mit einem Durchmesser von vielleicht 200 Metern und fast genauso tief. In ihm ein Gewimmel von mehreren Zehntausend Männern, kaum bekleidet. Ungefähr die Hälfte von ihnen schleppte schwere Säcke über breite Holzleitern nach oben, während die anderen über schlammige Abhänge zurück in den Schlund der Grube rutschten.“ Und weiter: „Bald stellte ich fest, dass das, was auf den ersten Blick wie ein chaotisches Menschengewimmel aussah, in Wahrheit ein hochkomplexes System war, in dem jeder der mehr als 50000 dort arbeitenden Männer die Rolle kannte, die er dort zu spielen hatte. Ganz allgemein gesagt, waren bei jedem Arbeitsablauf drei ‚Klassen‘ involviert: der Eigentümer des Claims, meist ein Pionier, der das Schürfrecht von der örtlichen Kooperative erhalten hatte, der sogenannte capitalista, der in das Unternehmen investierte, und für das Graben und Tragen etwa dreißig Tagelöhner. Diese Gruppen waren kein Spiegel der Ungleichheiten der brasilianischen Sozialstruktur: Hier arbeiteten Schwarze wie Weiße und Männer jeder anderen Hautfarbe Schulter an Schulter. Gold war die einzige Farbe, die sie im Sinn hatten. Und so wie der capitalista einfach ein Bauer sein konnte, der sein Vieh verkauft hatte, um das Geld in einen Claim zu investieren, konnte der Tagelöhner ebenso ein Universitätsabsolvent, ein Lastwagenfahrer, ein Bäcker aus der Stadt oder ein Landarbeiter sein, der sich in der Hoffnung, schnell reich zu werden, nach Serra Pelada aufgemacht hatte.“

Sebastião Salgado war nicht der erste Fotograf, der Bilder in der Goldmine machte, aber seine sind weltweit bekannt geworden und haben vor allem den Fotografen bekannt gemacht.

Wer ist dieser Salgado? In seiner Autobiografie schreibt er: „Ich wurde 1944 im Bundesstaat Minas Gerais (Brasilien) geboren, auf einer Farm in einem breiten Tal, das nach dem Fluss benannt ist, der es durchfließt – Rio Doce. Dieses Tal ist so groß wie Portugal und berühmt für seine Gold- und Eisenminen. In meiner Kindheit bedeckte der Atlantische Regenwald die Hälfte seiner Fläche.“ Doch das war, bevor in Brasilien in großem Stil der Wald zerstört wurde.

Goldmine in Serra Pelada, Bundesstaat Pará, Brasilien, 1986

Goldmine in Serra Pelada, Bundesstaat Pará, Brasilien, 1986

( © Sebastião SALGADO)

Als Student der Wirtschaftswissenschaften verfolgte er aufmerksam, wie sich die Lage in seinem Land entwickelte. Die Menschen vom Land wanderten in die Städte ab, dorthin, wo sie als Arbeitskräfte in der wachsenden Industrie gebraucht wurden. Er sah, wie sich soziale Ungerechtigkeit entwickelt und begann, sich politisch zu engagieren. Neben der Kommunistischen Partei gab es im Brasilien der 60er Jahre eine Reihe linker christlicher Vereinigungen, für die die Entwicklung in Kuba ein Vorbild war. Nach dem Putsch des Militärs entschied sich Salgado, mit seiner Frau Lélia nach Frankreich zu emigrieren. Dort setzten sie ihre Ausbildung fort und fanden sich, wie er schreibt, in einem engmaschigen solidarischen Netzwerk wieder.

Goldmine in Serra Pelada, Bundesstaat Pará, Brasilien, 1986

Goldmine in Serra Pelada, Bundesstaat Pará, Brasilien, 1986

( © Sebastião SALGADO)

Wie wird so einer Fotograf? Ab 1971 arbeitete Sebastião Salgado als Ökonom bei der „International Coffee Organization“, für die er Entwicklungshilfeprojekte in Afrika betreute. Hier entdeckte er seine Leidenschaft für die Fotografie und entschied sich 1973, seinen Beruf aufzugeben und ganz als Fotograf zu arbeiten. Salgado schätzt sich selbst so ein: „Es war wie eine Verlängerung meines politischen Engagements und meiner Herkunft. Wir lebten umgeben von Flüchtlingen … Also war es ganz natürlich, dass ich begann, Emigranten zu fotografieren, Illegale. Zuerst in Frankreich, dann in verschiedenen europäischen Ländern.“ Seine erste große Reportage machte er in Afrika, „… und es waren nicht seine Landschaften oder seine Gebräuche, die ich anfangs zeigen wollte, sondern die Hungersnot“. Salgado lernt bei seinen Reisen in den Kaffee produzierenden Ländern die Lebensbedingungen der Arbeiter kennen. „Der Lohn, den sie bekamen, reichte nicht aus, um anständig zu wohnen, sich medizinisch versorgen zu lassen und ihre Kinder zur Schule zu schicken. Sie arbeiteten genauso viel oder gar mehr als die europäischen Arbeiter, aber ihr Ertrag wurde zu Negativpreisen exportiert. Es war, als ob sie uns dafür bezahlten, dass wir ihren Kaffee tranken …“. Die wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung befähigt Salgado zur exakten Analyse auch der gesellschaftlichen Verhältnisse, mehr und mehr verlegt er sich auf die Arbeit mit der Kamera. „Was Schriftsteller mit ihrer Feder darstellen, bringe ich mit meinen Kameras zum Ausdruck. Fotografieren ist für mich wie Beschreiben.“ Er beschließt, sich ganz der dokumentarischen Fotografie zu widmen. Seine Projekte führen ihn um die ganz Welt, er wird Mitglied renommierter Bildagenturen.

Goldmine in Serra Pelada, Bundesstaat Pará, Brasilien, 1986

Goldmine in Serra Pelada, Bundesstaat Pará, Brasilien, 1986

( © Sebastião SALGADO)

Zahlreiche dieser Projekte und der sie begleitenden Fotobände sind in Zusammenarbeit mit Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, UNICEF und UNESCO zustande gekommen. Für ein langfristiges Projekt über den Überlebenskampf von Industriearbeitern und das allmähliche Verschwinden der Handarbeit bereiste Sebastião Salgado zwischen 1986 und 1992 insgesamt 23 Länder. Herausgekommen ist dabei der Fotoband „Arbeiter. Zur Archäologie des Industriezeitalters“.

Seit einigen Jahren widmet sich der Fotograf in seiner alten Heimat Brasilien dem Umweltschutz und der Wiederaufforstung der Urwälder, derweil diese in nie gekanntem Ausmaß gerodet werden.

Angesichts seines sozialen Engagements und seines fotografischen Könnens ist es nicht verwunderlich, dass seine Arbeit nicht nur in opulenten Bildbänden und Ausstellungen gewürdigt wird, sondern auch mit der Verleihung von Auszeichnungen. Der Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat sich entschlossen, seinen diesjährigen Preis Sebastião Salgado zu verleihen. Das ist umso erfreulicher, als die Begründung für frühere Preisträger nicht immer nachvollziehbar war. Es wird ein Bildkünstler ausgezeichnet, „… der mit seinen Fotografien soziale Gerechtigkeit und Frieden fordert und der weltweit geführten Debatte um Natur- und Klimaschutz Dringlichkeit verleiht … “ so der Stiftungsrat.

„Mit seinem fotografischen Werk, das in zahlreichen Ausstellungen und Büchern veröffentlicht ist, nimmt er die durch Kriege oder Klimakatastrophen entwurzelten Menschen genauso in den Fokus wie jene, die traditionell in ihrer natürlichen Umwelt verwurzelt sind. Dadurch gelingt es Sebastião Salgado, Menschen weltweit für das Schicksal von Arbeitern und Migranten und für die Lebensbedingungen indigener Völker zu sensibilisieren …“

Dem kann man nur zustimmen.

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"Mitfühlender Chronist", UZ vom 18. Oktober 2019



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