Über die Unterschiede in der Strafverfolgung

Mit zweierlei Maß

Der bürgerliche Rechtsstaat postuliert gleiches Recht für alle. In der Realität besteht daran berechtigter Zweifel, gerade wenn man sich den Umgang des Staates mit Rechten und Linken anschaut. Aktuelles Beispiel dafür sind die sogenannten „Revolutionären Aktionszellen“ (RAZ), um die es in den vergangenen Jahren recht still geworden war. Jüngst aber hat die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen nach Paragraf 129a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) an sich gezogen. Die RAZ werden bereits seit 2013 für eine Reihe von Brandanschlägen und Drohbriefen verantwortlich gemacht. Seit Ende des letzten Jahres sollen etwa 30 Drohbriefe an verschiedene Politiker auf ihr Konto gehen, denen unter anderem Patronenhülsen beigelegt waren. Auch für Brandsätze vor der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg und der Villa des Fleischfabrikanten Clemens Tönnies im Kreis Gütersloh sollen sie verantwortlich sein.

Während die Generalbundesanwaltschaft in Sachen RAZ mit dem grenzenlosen Schnüffelparagraphen 129a agiert, sieht die Behörde bei Nazis keine Notwendigkeit. Bei den Morddrohungen an Politikerinnen, Kulturschaffende und Journalisten, verschickt vom „NSU 2.0“ – so die Eigenbezeichnung – verzichten die hessischen Ermittlungsbehörden sogar auf die Vernehmung von Zeugen. Obwohl die Unterstützung des „NSU 2.0“ aus dem Polizeiapparat als erwiesen gilt. Man kann sogar sagen, dass all die Ermittlungsmethoden, die gegen extreme Rechte nicht angewandt werden – ob sie nebenbei in einem Beamtenverhältnis stehen oder nicht –, bei der Verfolgung der politischen Linken zum kleinen Einmaleins gehören.

So setzen Polizei, Justiz und Politik gegen Linke nicht selten eine Verfolgungsfurore erster Güte in Gang. Zur Erinnerung: Vermeintliche Gewalttäter, die sich an den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg beteiligt haben sollen, wurden mit automatisierten Gesichtserkennungsprogrammen und öffentlichen Steckbriefen gesucht. Dass derlei Methoden auch nur in einem annähernden Ausmaß bei faschistischen Gewalttätern – auf deren Konto seit 1990 knapp 200 Tote gehen – jemals angewendet wurde, ist nicht bekannt.

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"Mit zweierlei Maß", UZ vom 18. September 2020



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