Im Jahr 2024 starten Verhandlungen in großen Tarifbranchen. Dazu gehören unter anderem der Nahverkehr, das Bauhauptgewerbe, die chemische Industrie und – in der zweiten Jahreshälfte – die Metall- und Elektroindustrie. An dieser Stelle soll es jedoch um die bereits im letzten Jahr begonnenen Tarifauseinandersetzungen gehen. Das trifft auf die Beschäftigten im Handel sowie auf Lokführer zu. Angesichts der Kaufkraftverluste in den vergangenen Jahren ist entscheidend, ob in diesem Jahr mit dem Trend sinkender Reallöhne gebrochen werden kann.
Seit April 2023 kämpfen die Kolleginnen und Kollegen des Einzel- sowie Groß- und Außenhandels für höhere Löhne. Die Handelsbranche ist mit über 5 Millionen Beschäftigten eine bedeutende und große Branche. Das heißt jedoch nicht, dass hier gute Löhne gezahlt werden. Schauen wir auf den Einzelhandel, wo die Mehrheit der Beschäftigten tätig ist: 90 Prozent von ihnen sind akut von Altersarmut bedroht, 41 Prozent beziehen einen Niedriglohn. Sie machen 16,8 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland aus, die einen Niedriglohn erhalten.
Nachhaltige, tabellenwirksame Lohnerhöhungen sind in dieser Branche also existenziell wichtig. Die letzte Lohnerhöhung im April 2022 von 1,7 Prozent bedeutete eine kräftige Reallohnsenkung. Die Preissteigerungen lagen wesentlich höher. Kein Wunder also, dass die Kolleginnen und Kollegen so hartnäckig seit zehn Monaten für ihre Löhne kämpfen. Bewundernswert sind ihre Ausdauer und die Streikbeteiligung. Dass betriebliche und gewerkschaftliche Akteure über die Zeit zusammengewachsen sind, ist in Stuttgart bei jeder Kundgebung und jeder Streikversammlung zu spüren. Auch wenn die Streiks viel Kraft und Energie kosten, ist die Stimmung sehr gut. Die Gewerkschaftssekretäre bekamen am Ende des Jahres als Dankeschön minutenlangen stehenden Applaus von den Beschäftigten. Die Streikerfahrung hat die Beschäftigten im Kampf zusammengeführt und sie bilden mit ihrer Gewerkschaft eine Einheit. So sollte es überall sein: Die Gewerkschaften als Organisation, um die Interessen der Klasse durchsetzen und als Schule des Klassenkampfes.
Schauen wir auf den Tarifkampf der Lokführer. Die Gewerkschaft GDL mit ihren zirka 40.000 Mitgliedern steht seit Anfang November in der Auseinandersetzung. Sie streitet für 555 Euro mehr pro Monat bei 12 Monaten Laufzeit, für 3.000 Euro „Inflationsausgleichsprämie“ sowie eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Mitte Januar fand die dritte Arbeitsniederlegung statt, die etwas mehr als drei Tage dauerte. Inzwischen hat die GDL den vierten Streik angekündigt, der ab Dienstag im Güterverkehr und ab Mittwoch im Personenverkehr (nach Redaktionsschluss) stattfinden und bis zum nächsten Montag andauern soll.
Das Tarifangebot der Deutschen Bahn ist niedrig, weshalb die Gespräche bereits nach der zweiten Verhandlungsrunde für gescheitert erklärt wurden. 97 Prozent der GDL-Mitglieder stimmten Mitte Dezember für unbefristeten Streik. Die Bahn hatte bis zuletzt noch versucht, die Streiks per Gericht stoppen zu lassen – und scheiterte damit. Andere Bahnunternehmen – insgesamt 18 (Stand 20. Januar) – haben mit der GDL bereits neue Tarifverträge abgeschlossen und Kernforderungen der GDL erfüllt. Dazu gehört die 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiter ohne Entgeltkürzung, 420 Euro mehr Lohn sowie die 3.000 Euro „Inflationsausgleichsprämie“ als Sonderzahlung. Darüber hinaus wurde eine Erhöhung beziehungsweise Vereinheitlichung der Altersvorsorge auf Marktniveau und eine grundsätzliche Fünftagewoche erreicht. Die Deutsche Bahn ist davon mit ihrem Angebot noch weit entfernt. DB-Personalvorstand Martin Seiler bot eine Stunde weniger Arbeit bei vollem Lohnausgleich ab dem 1. Januar 2026 als Wahloption an. Wer sich gegen die Absenkung der Wochenarbeitszeit auf 37 Stunden entscheide, bekomme 2,7 Prozent mehr Geld. Die GDL lehnte dieses Angebot ab. Die Deutsche Bahn setze damit nur ihren „Verweigerungs- und Konfrontationskurs“ fort, hieß es im Streikaufruf.