Russlandpolitik der Bundesregierung stößt an ihre Grenzen

Mit Schaum vorm Mund

Es schäumt wieder mal gewaltig vor den Mündern deutscher Politiker, die sich mit Russland befassen. Der Anlass diesmal: das Vorgehen der russischen Justiz gegen den aus Deutschland nach Moskau zurückgekehrten Alexej Nawalny. Das jüngste Urteil gegen ihn? „Ist fernab jeder Rechtsstaatlichkeit“, äußerte Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Ist reine Willkür“, befand die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. „Regelwidrig – nach internationalem und nach russischem Recht“, ließ sich der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff zitieren, während für Bündnis 90/Die Grünen Katrin Göring-Eckardt und Manuel Sarrazin empört erklärten, das Urteil bestätige nur „den Unrechts­charakter des Putin-Regimes“.

Joerg Kronauer - Mit Schaum vorm Mund - Aufrüstung, Bundesregierung, Russland, Russlandpolitik - Positionen
Jörg Kronauer

Wischt man den Schaum weg und versucht einen nüchternen Blick auf die deutsche Russlandpolitik zu werfen, so zeigt sich: Sie ist in mancherlei Hinsicht gescheitert. Als Moskau im Jahre 2014 nach dem vom Westen geförderten Umsturz in der Ukraine nicht klein beigab, sondern die Krim aufnahm und den Aufständischen im Donbass den Rücken stärkte, entschieden die westlichen Mächte, nicht den Ausgleich zu suchen, sondern zu eskalieren und zu versuchen, Russland in die Knie zu zwingen. Berlin war darauf aus, sich zur Ordnungsmacht östlich der EU aufzuschwingen, und zog auf westlicher Seite den Minsk-Prozess an sich. Erfolge? „Wir sind in den letzten Jahren nicht vorangekommen“, räumte Merkel im Februar auf der Online-Miniversion der Münchener Sicherheitskonferenz ein. Die Bundesregierung muss ihre Politik ändern, wenn sie 2030 oder 2040 nicht immer noch im ostukrainischen Sumpf feststecken will, während die Musik der Weltpolitik ohne sie am Pazifik spielt. Und es ist ja nicht so, dass sie sich in den vergangenen Jahren nur in der Ukraine die Zähne an Moskau ausgebissen hätte – man denke etwa an Syrien, Libyen oder zuletzt Bergkarabach.

Wie also weiter? Nachgeben, kooperieren? Das wäre mit dem Eingeständnis verbunden, mit Moskau auf Augenhöhe verhandeln zu müssen. So etwas kommt für das weltmachthungrige Berlin, das immer noch auf Russlands Abstieg setzt, nicht in Betracht. Die Bundesregierung legt also eine Schippe drauf. Am 22. Februar haben sich die Außenminister der EU im Grundsatz auf neue Sanktionen geeinigt. Berlin will weitere Verschärfungen gemeinsam mit Washington in Angriff nehmen; Merkel sprach sich deshalb auf der Münchener Sicherheitskonferenz für „eine gemeinsame transatlantische Russland-Agenda“ aus.

So ganz einheitlich werden die Verschärfungen allerdings nicht vonstatten gehen. Zum einen: Berlin hält nach wie vor an „Nord Stream 2“ fest. Zu dem Interesse an einem umfassenden Zugriff auf die immensen russischen Erdgasvorräte kommt mittlerweile das dringende Bedürfnis, an einem Punkt die eigene Handlungsfähigkeit auch gegen die USA nachzuweisen: „Wir brauchen nicht über europäische Souveränität zu reden“, gab Außenminister Heiko Maas Ende Dezember in einem Interview zu, „wenn dann darunter verstanden wird, dass wir in Zukunft alles nur noch machen, wie Washington es will.“ Zum anderen: Moskau lässt sich inzwischen offenbar nicht mehr jeden Tiefschlag gefallen. Als der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am 5. Februar in der russischen Hauptstadt mit Außenminister Sergej Lawrow zum Gespräch zusammentraf, attackierte dieser in der anschließenden Pressekonferenz die EU ungewöhnlich scharf. Er warf der Union aggressives Gehabe und Doppelmoral vor und prangerte die Sanktionsorgien des Westens als „Werkzeuge aus der kolonialen Vergangenheit“ an. Dann gab er die Ausweisung dreier EU-Diplomaten bekannt, die sich öffentlich auf Seiten der Opposition positioniert hatten. Vielleicht wird sich ja die EU darauf einstellen müssen, dass es, wenn man sich mutwillig Feinde macht, etwas kostet.

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"Mit Schaum vorm Mund", UZ vom 5. März 2021



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