Gelegentlich wird Boris Johnson mit Donald Trump verglichen. Der Vergleich geht fehl. Der Eaton- und Oxford-Absolvent Johnson ist ausgestattet mit der klassischen Ausbildung der britischen Upper Class und selbstredend mit ihrer Arroganz und ihrem Zynismus. Sein gutes Gefühl für populistische Massenwirkung lässt ihn zuweilen tölpelhaft erscheinen, was er nicht ist.
Die EU-Wahl 2019 hatte ein deutliches Pro-Brexit-Votum gebracht. Die erst am 20. Januar 2019 gegründete Brexit-Party Nigel Farages war aus dem Stand auf 30,5 Prozent gekommen. Demgegenüber hatten die May-Tories (-14,2) und die in der Brexitfrage taktierende Labour Party (-10,8) mehr als klar verloren.
Johnson wertet dieses Votum als klaren Auftrag. Mit ihm haben die Tories jemanden an ihre Spitze gebracht, der ihnen fähig erscheint, den von der EU geschnürten „gordischen Brexit-Knoten“ bis zum 31. Oktober durchschlagen zu können und der dazu auch den No-Deal-Brexit akzeptiert. Es wird sich zeigen, ob Frau von der Leyen die geeignete Person ist, das zu verhindern.
Der Brexit gilt als der gravierendste Rückschlag für das jahrhundertalte Projekt Deutsch-Europa, die europäische „Integration“ unter der Führung Deutschlands. Auch wenn die ökonomischen und sozialen Konsequenzen dieser „Integration“ unter der Federführung der Bundesbank und der Finanzindustrie mit hunderten Milliarden öffentlichen Geldes verdeckt und die „Krisenstaaten“ vor dem Kollaps bewahrt wurden, so blieben doch die Strukturen erhalten, welche die weniger auf Niedriglohn und Merkantilismus getrimmten Staaten unweigerlich in den Ruin treiben.
Großbritannien hatte 2018 ein Handelsbilanzdefizit von 160,2 Mrd. Euro eingefahren und belegt damit den EU-Spitzenplatz. Deutschland hat demgegenüber ein Plus von 232,8 Mrd. Euro erreicht. Ebenfalls ein Spitzenplatz. Dass so etwas nicht nachhaltig ist, liegt auf der Hand.
Ebenfalls liegt auf der Hand, dass es für Großbritannien mit einem Brexit nicht getan ist. Die Tory-Vorzeigefrau Margaret Thatcher hatte das Land mit ihrem neoliberalen Kreuzzug nach Kräften zugrunde gerichtet.
Labour-Darling Tony Blair hatte ihr kaum nachgestanden. Es ist nicht zu erkennen, dass Boris Johnson, außer einer besseren Verkaufe, hier mehr zu bieten hat. Bislang übt sich die Tory-Führung eher in Muskelspielen gegen Iran. Das weckt Erinnerungen an Thatchers Falklandkrieg.
Für Deutsch-Europa werden die Zeiten nicht einfacher. Die bislang gehegte Zuversicht, den Brexit doch noch verhindern zu können, dürfte nun deutlich gegen Null tendieren.