Ende des Monats wird eine weitere Änderung des Grundgesetzes über die Bühne gehen. Dafür sind Große Koalitionen ja da: das Staatswesen auch juristisch an den Bedarf der Konzerne und Banken anzupassen. Die letzte große Änderung des Grundgesetzes bestand in der Etablierung der Schuldenbremse auf allen Staatsebenen. Der Zweck wurde erfüllt: Gemeinden und Länder wurden noch abhängiger von den Zuweisungen und Weisungen des Bundes gemacht. Das Fatale daran: Große Teile der Bevölkerung glauben, dass eine gesetzliche Bestimmung zur Begrenzung der Staatsschulden gut oder unvermeidbar ist. Die Schuldenbremse wird vermutlich erst dann massenhaft übertreten und vielleicht abgeschafft, wenn sie sich – in der nächsten Krise zum Beispiel – als nachteilig für die Interessen des Großkapitals erweist.
Die jetzt anstehende Grundgesetzänderung soll den Bund-Länder-Finanzausgleich neu regeln. Weil Länder und Gemeinden in mehreren Schüben Steuerquellen entzogen worden waren und weil sie – dank der Schuldenbremse – keinen Verschuldungsspielraum mehr hatten, lief eine Neuordnung der Finanzen auf einen größeren Beitrag des Bundes zu den Länderbudgets hinaus. Zugleich endet der vereinbarte Finanzausgleich zwischen den Ländern im Jahr 2020. Nach mehreren Verhandlungsrunden kam es im Herbst vorigen Jahres ziemlich plötzlich zu einer Einigung. Im Ergebnis wird der Bund an die 16 Länder 9,5 Mrd. Euro jährlich mehr bezahlen. Die Ausgleichszahlungen zwischen den Ländern entfallen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte den Ländern mehr geboten, als sie gehofft hatten. Dafür aber erkauft sich der Bund von den Ländern die Hoheit über den Bau von Fernstraßen.
Dieser Kompetenzzuwachs ist kein Selbstzweck. Er dient vielmehr der Privatisierung des Baus und des Unterhalts von Fernstraßen. Zusammen mit der Grundgesetzänderung soll deshalb ein Gesetz verabschiedet werden, das es dem Bund ermöglicht, eine privatrechtliche Gesellschaft, die „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“, zu gründen. Sie ist der Weisung der Parlamente entzogen und übernimmt die Aufgaben der Landesbehörden für den Straßenbau. Anders als noch in den 90er Jahren ist Privatisierung heute in der Gesellschaft ein Schreckenswort. Obwohl die Presse über den Deal zwischen Schäuble und den Ländern sehr zurückhaltend, fast gar nicht oder verfälscht berichtete, ging die Regierung in die Defensive. Im Gesetz selbst wurde festgelegt, dass die privatrechtliche Gesellschaft und die Straßen selber zu 100 Prozent Eigentum des Bundes bleiben sollen. Besonders der frühere Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel stellte unentwegt klar, dass eine Privatisierung der Fernstraßen „vom Tisch“ und mit ihm ohnehin nicht zu machen sei.
Gabriels Heuchelei in der Angelegenheit ist beachtlich. Denn sein Wirtschaftsministerium hatte vor zweieinhalb Jahren eine Kommission beauftragt, einen Privatisierungsplan für die Fernstraßen auszuarbeiten. Nach dessen Drehbuch wurde danach vorgegangen. (Nur Schäubles Bestechung der Länder war dessen eigene taktische Leistung.) Kern des Plans war es nie, die Straßen oder die Straßenbauämter zu privatisieren. Es geht vielmehr darum, Versicherungen, Banken und andere Finanzkonzerne Straßenbauprojekte finanzieren zu lassen. Sie können entweder Kredit hochverzinslich zur Verfügung stellen und/oder per Maut die Autofahrer zur Kasse bitten. So funktionieren schließlich die ÖPP (öffentlich-private Partnerschaften), die sich für Staat und Bürger als teuer und schädlich herausgestellt haben.
30 000 Unterschriften hat mittlerweile ein vor drei Wochen begonnene Aufruf gegen das ÖPP-Projekt. Ungeachtet dessen schworen sich die SPD-Oberen am Rande des Inthronisierungsparteitags für Martin Schulz darauf ein, die Änderung des Grundgesetzes mit CDU/CSU im Interesse der Finanzkonzerne durchzuziehen. Ein Programm für mehr Gerechtigkeit kann der tolle Schulz ja danach immer noch ausarbeiten.