Pünktlich zum 3. Oktober liegt der „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2020“ vor. „Kein Anschluss unter dieser Nummer“ war mein erster Gedanke in Erinnerung an eine Losung von 1989. Doch die „Einheit“ gibt es tatsächlich – das ist der Kapitalismus. Nur darum geht es. Das soll im Bericht nicht so brutal gesagt werden, von „sozialer Marktwirtschaft“ ist die Rede. Aber die radikalen Methoden zur Zerschlagung einer ganzen Volkswirtschaft, die verheerende Rolle der Treuhand und die verheerende Rolle der Währungsunion wurden sehr detailliert dargestellt. Natürlich als Segen für die Menschen, die angeblich genau das wollten. Da ist es doch ärgerlich, dass es Stimmen gibt, die trotz aufschlussreicher Diagramme und Statistiken das einfach nicht begreifen. So beklagte der Ostbeauftragte der Bundesregierung bei der Vorstellung des Berichtes, dass der Charakter „der DDR als Unrechtsstaat“ zwar offensichtlich sei, aber des öfteren unverändert bestritten werde. In Ostdeutschland würden auch noch „strukturelle Probleme“ bei der Festigung der Demokratie existieren, ein Begriff, den auch der Einheitsbericht wohlbedacht in der Schwebe hält. Das zeige sich „insbesondere im Bereich des Rechtsextremismus“. Eine solche Aussage steht im Raum. Mit der kapitalistischen „Westsozialisation“ wird sie nicht in Zusammenhang gebracht, denn Resultat der DDR-Sozialisation kann das nicht sein, wie Walter Friedrich, der Direktor des „DDR-Zentralinstitutes für Jugendforschung“ in Leipzig, schon 2002 zweifelsfrei nachgewiesen hat.
In den neuen Ländern gibt es laut Bericht eine „durchgängig skeptischere und auch kritischer ausgeprägte Grundeinstellung gegenüber Politik“. Die allgemeine Unzufriedenheit sei hier „nochmals stärker ausgeprägt“. So sieht es auch die DKP, wenn sie davon spricht, dass große Teile der Menschen in Ostdeutschland sehr „kapitalismusskeptisch“ sind! Die Mehrheit der Ostdeutschen fühle sich immer noch als Bürger zweiter Klasse. Ist das ein Wunder? Aber nach 30 Jahren ein Skandal, wenn man an die versprochenen „blühenden Landschaften“ denkt. Gerade mal Brandenburg und Sachsen ist es gelungen, das ökonomische Niveau des wirtschaftsschwächsten westdeutschen Landes, des Saarlandes, zu erreichen. Die Unterschiede in den Lebensverhältnissen (Einkommen, Rente, Arbeitszeit, Entwertung der Lebensleistung, Nichtanerkennung von Berufsabschlüssen und so weiter) sind nicht nur zwischen Ost und West, sondern im ganzen Land weder „wenige“ noch „graduell“, da muss man allerdings zwischen den Zeilen des Berichtes lesen, um fündig zu werden. Anschluss nach unten heißt die Tendenz. Es wird gebogen, gelogen und vertuscht was das Zeug hält. Statistisch kommt wieder der alte Trick in Anwendung: Ausgangsjahr aller Berechnungen zur Wirtschaftskraft ist 1990. Nicht 1989 oder 1988, als es die Wirtschaftskraft der DDR noch gab. Und deren Niveau wurde bis heute nicht erreicht. Aber man lobt sich: Die durchschnittliche Wirtschaftskraft der neuen Länder je Einwohner liegt bei 73 Prozent des gesamtdeutschen Durchschnitts. Berlin, ein statistischer Außenseiter, hat es auf 79 Prozent geschafft, an den sozialen Problemen hat das nichts geändert.
Der Schwerpunkt des Berichtes ist ganz eindeutig die Verketzerung und Kriminalisierung der DDR und der SED. Nichts wird dabei ausgespart. Die Deutsche Einheit ist für die Bundesregierung vor allem ein ideologisches Problem, damit die Zustimmung zum Kapitalismus nicht verloren geht. Ein gewaltiges Programm wird skizziert, um den Antikommunismus unter allen Bedingungen als herrschende Ideologie aufrechtzuerhalten. Je schlimmer die Verhältnisse, desto größer die Lüge über die DDR und die Deutsche Einheit.