Nachdem eine hauchdünne Mehrheit der kolumbianischen Bevölkerung beim Referendum am 2. Oktober das ausgehandelte Abkommen zwischen den Revolutionären Streitkräften (FARC) und Regierung abgelehnt hatte, haben nun beide Seiten am 12. November in Havanna ein neues Abkommen vorgelegt. Es orientiert sich auf den ersten Blick weitgehend am vorherigen. Dennoch sind einige wesentliche Aussagen im Sinne der Gegner des Friedensvertrags abgeändert worden.
Die von den Ex-Präsidenten Andrés Pastrana und Álvaro Uribe geführte Kampagne gegen das Abkommen hatte im Vorfeld des 2. Oktober mit jeder Art von Lügen und Unterstellungen gearbeitet, wie zum Beispiel der völlig aus der Luft gegriffenen Behauptung, die kolumbianischen Rentner würden den Vertrag mit den FARC mit einer siebenprozentigen Rentenkürzung bezahlen müssen. Dass mit dreisten Lügen gearbeitet wurde, hatte der Chef der „Nein“-Kampagne, Juan Carlos Vélez, gegenüber der Zeitung „La República de Bogotá“ danach stolz zugegeben.
Es hat sich ausgezahlt, denn von nun an saßen Uribe und Pastrana indirekt mit am Tisch der Verhandlungen in Havanna. Präsident Juan Manuel Santos – als Verteidigungsminister unter Uribe Kriegsverbrecher und inzwischen zum Friedensnobelpreisträger geadelt – holte sich dienstbeflissen deren 500 Veränderungswünsche ab, gegliedert in 57 Einzelthemen. 56 erreichten Abänderungen, was 68 zusätzliche Seiten ausmacht; nur die spätere Teilhabe der FARC an der (unbewaffneten) Politik blieb unangetastet. Oft handelt es sich um im Gesamtkontext eben noch akzeptable Präzisierungen und Konkretisierungen – natürlich fast alle zu Gunsten der Friedensfeinde, die den Konflikt mit den FARC am liebsten militärisch weitergeführt hätten. Dazu zählen die Zusammensetzung des Friedensgerichts, das sich nun doch nur aus Kolumbianern bilden wird, die Sonderrechtsprechung, die längstens zehn Jahre arbeiten wird und vom Verfassungsgerichtshof als Berufungsinstanz korrigierbar ist, und die Zuständigkeit des normalen kolumbianischen Strafrechts.
Andere Änderungen sind schwerwiegender: Nach Jahrzehnten des Kampfes gegen den Großgrundbesitz und all dessen Verbrechen in Komplizenschaft mit dem Staat mussten die FARC in Havanna nun die Formulierung schlucken, dass der Privatbesitz garantiert ist, wohingegen das erste Abkommen noch Enteignungen zu Gunsten derjenigen vorsah, die von ihrem Land vertrieben worden waren. Und nun sind, unabhängig von ihrer Bereitschaft zur Opferentschädigung beizutragen, auch die regionalen und nationalen Kommandanten der Guerilla in jedem Fall mit Freiheitsentzug zu bestrafen, der dann in speziellen Zonen abgeleistet werden soll. „Einfache“ Guerilleros gehen straffrei aus, wenn ihnen keine besonderen Vergehen nachgewiesen werden.
Schon vorher klar war: die FARC müssen ihre Finanzmittel offenlegen und Opfer entschädigen. Der Fallstrick ist, dass vom Staat dabei nicht die Rede ist, als habe es nie die Massaker in ganzen Dörfern, die Verstrickung des Staats in den Paramilitarismus, die Ermordung von 1 200 Menschen, die man in FARC-Uniformen gesteckt hatte, um „falsche Erfolgsmeldungen“ (falsos positivos) machen zu können. Der Charakter des historischen Friedensschlusses vom August war, dass beide Seiten ihre Verantwortung übernahmen – das ging Uribe und seinen Schergen zu weit. Auch wird der Friedensschluss keinesfalls einen Verfassungsrang bekommen; die verbliebenen Reformen, die die Gesellschaft zumindest dahingehend nachhaltig verändern sollten, dass sich die Notwendigkeit des bewaffneten Aufstands nicht mehr ergibt, stehen damit also bei späteren Regierungen frei zum Abschuss. Dazu kommt, dass die Umsetzung aller vorgesehenen Maßnahmen nun unter Haushaltsvorbehalt steht. Mit anderen Worten: Wenn kein Geld da ist (oder für anderes gebraucht wird), sind alle Vereinbarungen wertlos. Betroffen ist auch die gesellschaftliche Basis der FARC – die bäuerlichen Schutzzonen (gegen Großgrundbesitz und Agroindustrie) sind nicht mehr Teil des Vertrags. Und sie selbst: es wird für die aus den FARC hervorgehende Partei ab 2018 nicht automatisch fünf Sitze in Parlament und Senat geben.
Carlos Lozano, Chefredakteur der „Voz“, Zeitung der Kolumbianischen KP, und seit Jahrzehnten als Bindeglied zur Guerilla einer der wichtigsten Wegbereiter des Abkommens, nennt den neuen Text gegenüber der UZ „einen Schritt zurück, der aber notwendig war, um den Friedensprozess zu retten“. Er unterstreicht, dass die Regierungsvertreter, Chefunterhändler Humberto de la Calle und Präsident Santos, dieses Abkommen für besser halten als das erste – und dass die demokratischen Sektoren der Gesellschaft das nicht teilen könnten. Iván Márquez, der die dreieinhalbjährigen Verhandlungen sowie die vierzig zusätzlichen Tage für die FARC leitete, nennt das Übereinkommen eines „der Hoffnung und damit ein machtvolles Instrument zur Demokratisierung des Landes“ und fügte hinzu: „Wir sind bis an die Grenze des Vernünftigen und des Akzeptablen gegangen.“ Der Oberste Kommandant der FARC, Timoleón Jiménez, betonte, dass „wir unsere größte Anstrengung gemacht haben, um auf den Wunsch nach Frieden einzugehen“.
Solidarität mit einem genauen Blick auf das, was in Kolumbien passiert, ist nun das Wichtigste, was von außen geleistet werden kann. In Kolumbien selbst werden die Diskussionen nicht nachlassen, wofür sich am Ende der jahrzehntelange Widerstand gelohnt hat. Iván Márquez jedenfalls warb um höheren Beistand: „Gott und Manuel Marulanda mögen das Abkommen segnen.“