In Bolivien ist fast genau ein Jahr nach dem Putsch gegen Evo Morales die Demokratie wiederhergestellt. Der am 18. Oktober mit der klaren Mehrheit von über 55 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten gewählte Luis Arce legte am 8. November den Amtseid ab. Ihm zur Seite stand Vizepräsident David Choqehuanca, der bisher Generalsekretär des antiimperialistischen Staatenbündnisses ALBA (Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas) gewesen war.
Die Bilder, die von unzähligen lateinamerikanischen Fernsehsendern aus La Paz übertragen wurde, konnten sich kaum mehr von den Auftritten der Putschisten vor einem Jahr unterscheiden. Als sich Jeanine Áñez im November 2019 nach dem von Militär und Polizei erzwungenen Rücktritt von Evo Morales selbst als neue Präsidentin Boliviens vereidigte, tat sie dies in einem von Uniformierten abgeriegelten Regierungsgebäude, mit der Hand auf der Bibel und umgeben von hochrangigen Militärs. Luis Arce dagegen erhob mit Tränen in den Augen die geballte Faust, als bei seiner Amtseinführung die Nationalhymne erklang. Auf der Straße feierten Indígenas, Bauern und Zehntausende einfache Menschen. Stolz schwenkten sie die Wiphala, die Fahne der indigenen Völker, die vor einem Jahr von den Putschisten beschmutzt und verbrannt worden war.
Nicht weniger symbolisch war die Rückkehr von Evo Morales aus dem argentinischen Exil am Tag darauf. Begleitet von Argentiniens Präsident Alberto Fernández überschritten Evo und sein früherer Vizepräsident Álvaro García Linera zwischen La Quiaca und Villazón die Grenze und wurden auf bolivianischem Staatsgebiet von einer unübersehbaren Menschenmenge begrüßt, die ebenfalls die Wiphala und die blau-weiß-schwarzen Fahnen der Bewegung zum Sozialismus (MAS) schwenkten. Tausende reckten die Fäuste in den Himmel, als sich Morales bei einer improvisierten Kundgebung in Villazón an die Versammelten wandte. Von den umliegenden Gebäuden wehten meterlange Banner in den Farben der sozialistischen und indigenen Bewegung Boliviens.
Luis Arce, der unter Morales Wirtschafts- und Finanzminister gewesen war, erbt ein nach zwölf Monaten Putschistenherrschaft zerrüttetes Land. Von dem „Wirtschaftswunder“, für das die Regierung von Evo Morales international gelobt wurde, ist wenig übriggeblieben. Das Regime von Jeanine Áñez habe „wenig mehr als Trümmer“ hinterlassen, kritisierten Mitglieder des von Arce eingesetzten Teams, das den Übergang zur neuen Regierung vorbereiten sollte. Wilfredo Chávez, der die MAS in rechtlichen Fragen berät, sprach davon, dass man in den Ministerien nur Belege dafür erhalten habe, dass dies eine „katastrophale, chaotische Regierung“ gewesen sei, die ein Jahr lang das Land ausgeplündert habe.
Möglich war dieser Albtraum auch durch die tatkräftige Hilfe der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) für die Putschisten. Die von Washington kontrollierte Organisation, die in Lateinamerika auch als „US-Kolonialministerium“ bezeichnet wird, hatte sich zum Kronzeugen für die Manipulationsvorwürfe der rechten Opposition gemacht, die dann als Vorwand für den Putsch gedient hatten. Als OAS-Generalsekretär Luis Almagro nun Arce zu dessen Wahlerfolg gratulieren wollte, bekam er eine entsprechende Antwort: „Es gab keinen Betrug, es gab die Vorbereitungen auf einen Staatsstreich, an dem die OAS leider beteiligt war.“ Deshalb interessierten ihn die Glückwünsche Almagros nicht, dieser solle lieber seinen Posten räumen.