Mit der HDP für eine demokratische Türkei

Olaf Matthes im Gespräch mit Abdullah Levent Tüzel (EMEP)

UZ: Bei den Wahlen im Juni konnte die HDP (Demokratische Partei der Völker) die Zehnprozenthürde überwinden. Was hat dieser Sieg für die Türkei bedeutet?

Abdullah Levent Tüzel war Mitbegründer und Vorsitzender der EMEP (Partei der Arbeit). Im Juni wurde er als Kandidat der HDP in die türkische Nationalversammlung gewählt. Ende August wurde er als Minister der Übergangsregierung nominiert – Tüzel lehnte ab.

Abdullah Levent Tüzel war Mitbegründer und Vorsitzender der EMEP (Partei der Arbeit). Im Juni wurde er als Kandidat der HDP in die türkische Nationalversammlung gewählt. Ende August wurde er als Minister der Übergangsregierung nominiert – Tüzel lehnte ab.

( UZ)

Abdullah Levent Tüzel: Tayyip Erdogan wollte einen Regimewechsel, er wollte ein Präsidialsystem errichten. Dass dieser Regimewechsel verhindert wurde ist ein großer Erfolg. Für eine Demokratisierung der Türkei, für einen wirklichen Friedensprozess war es wichtig, dass die HDP – die genau dafür steht – im Parlament vertreten ist. Weil das Ergebnis Erdogan und der AKP nicht gepasst hat, finden nun, am 1. November, die nächsten Wahlen statt. Deshalb haben sie auch den Krieg in der Türkei von neuem angeheizt.

UZ: Die HDP wird immer als Kurdenpartei beschrieben. Was ist die HDP für eine Partei?

Abdullah Levent Tüzel: So ganz falsch ist das nicht. Im Kern ist das Programm der HDP darauf aufgebaut, die Kurdenfrage zu lösen, die Unterdrückung der Kurden zu beenden. Aber an der HDP beteiligen sich auch viele Parteien und Gruppen, die die Haltung haben, dass die Kurdenfrage über eine allgemeine, landesweite Demokratisierung zu lösen ist. Es sind also sehr verschiedene linke Parteien dabei.

Im Hinblick auf die soziale Frage, auf die Frage, welches Gesellschaftsmodell die HDP anstrebt, sagen wir als EMEP: Sie ist eine bürgerliche, linksliberale Partei.

UZ: Welches Ziel verfolgt die EMEP damit, dass sie sich an der Kandidatur der HDP beteiligt?

Abdullah Levent Tüzel: Die EMEP will gemeinsam mit der HDP und mit anderen Parteien, die außerhalb der HDP sind, eine demokratische Front aufbauen. Das Programm dieser Front muss sein: Demokratisierung der Türkei, Lösung der Kurdenfrage, Widerstand gegen die imperialistische Aggression – also eine fortschrittliche Allianz gegen die reaktionären Kräfte in der Türkei, auf demokratischer Grundlage.

UZ: Nach den letzten Wahlen stand die Frage, ob die HDP sich an der Übergangsregierung beteiligen soll. Du warst als Minister für diese Regierung im Gespräch. Warum hast du den Posten abgelehnt?

Abdullah Levent Tüzel: Zunächst einmal: Wie diese Regierung gebildet wurde, hat nur eine Person bestimmt – der Ministerpräsident Davutoglu. Die HDP ist nicht gefragt worden, wen sie nominieren will, es ist einfach bestimmt worden, wer zu nominieren ist. Das war ein inakzeptabler, undemokratischer Prozess. Das war ein Grund.

Der zweite Grund war die grundsätzliche Ausrichtung der AKP als der stärksten Partei in der Regierung. Das ist doch eine Partei, die immer wieder die sozialen Rechte, die Rechte der Arbeiter, die noch bestehenden sozialen Errungenschaften angegriffen hat. Das Wesen der AKP besteht gerade darin, dass es eine Partei des Sozialabbaus und der Kriegspolitik ist. Genau darauf – auf diesem Wesen der AKP-Politik – ist auch die Übergangsregierung aufgebaut – daran wollten wir uns nicht beteiligen. Eine Beteiligung wäre eine Art Legitimation dieser Kriegsregierung. Und dass nicht einmal die HDP-Minister in ein Krisengebiet gelassen werden zeigt doch ganz deutlich, wie scheinheilig das Ganze ist.

Und drittens ging es uns auch um ideologische Gründe: Wir sind eine sozialistische, eine marxistische Partei. Wir lehnen es grundsätzlich ab, Teil einer bürgerlichen Regierung zu sein. Als Sozialisten haben wir in so einer Regierung nichts zu suchen. Hätte ich den Posten als Minister angenommen, dann wäre das auf die EMEP zurückgefallen. Die EMEP wäre unglaubwürdig geworden – und das wollten wir nicht.

UZ: Welches Ziel verfolgt die Regierung mit den massiven Angriffen, die sie in den letzten Monaten gegen die kurdische Bevölkerung gerichtet hat?

Abdullah Levent Tüzel: Dabei geht es um zwei Überlegungen. Erstens: Die Regierung will, bevor sie zu Verhandlungen zurückkehrt, die kurdische Bewegung schwächen. Sie will Stärke zeigen. Und zweitens: Sie will sich vor dem Rest der Bevölkerung als Retter präsentieren. Die AKP sagt: Es herrscht Krieg, wir werden angegriffen, und ohne die AKP würde Chaos herrschen, nur die AKP kann das Land retten. So war es nach den Angriffen auf die kurdischen Städte, und so war es nach dem Anschlag von Ankara.

UZ: Was bedeutet das für die anstehenden Wahlen?

Abdullah Levent Tüzel: Die AKP hat das Ziel, die Nationalismen in der türkischen Gesellschaft zu fördern. Sie erhofft sich davon, dass die Solidarität mit der HDP abnimmt und dass die HDP bei dieser Wahl unter der Zehnprozenthürde bleibt oder dass sie als AKP zumindest die absolute Mehrheit im Parlament bekommt.

Aber die große Mehrheit der Bevölkerung der Türkei will Frieden, keinen Krieg. Deshalb stellen sich viele gegen die AKP. Und die Leute durchschauen die Manöver der AKP, sie erkennen, dass die AKP mit ihrer aggressiven Politik nur versucht, ihre eigene Macht zu sichern. Und deshalb wird die AKP ihr Ziel auch am 1. November nicht erreichen.

UZ: Die deutsche Regierung sagt: Wir müssen die Flüchtlingsströme unter Kontrolle bringen und dazu müssen wir mit der AKP-Regierung zusammenarbeiten. Und wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen und deshalb stärker in Syrien eingreifen. Was sagst du dazu?

Abdullah Levent Tüzel: Hinter dem Krieg in Syrien oder auch hinter dem Hunger in Afrika steht das kapitalistische, imperialistische System. Und man muss fragen: Wer trägt denn die Verantwortung für die gegenwärtige Lage? Die türkische Regierung hat doch dazu beigetragen, die ganzen dschihadistischen Gruppen hochzurüsten, sie hat ganz bewusst in Kauf genommen, dass in Syrien ein Krieg entfacht wurde. Deutschland und die Türkei haben die Gründe für die Flucht mit geschaffen – es ist doch nicht glaubwürdig, dass sie jetzt eine partnerschaftliche Lösung finden, um diese Gründe zu beseitigen.

Warum ist denn Alan Kurdi, der kleine Junge, dessen Leichnam an den Strand gespült wurde, gestorben? Seine Familie war aus Syrien in die Türkei geflohen, und sie wollte dort weg, weil die Türkei es bisher nicht geschafft hat, denen, die hier sind, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Wir leben in einer imperialistischen Welt, Deutschland sieht den Nahen Osten als einen Markt für Waffenexporte. Dieser Blick auf die Profite schafft neue Krisenherde in dieser Region, und er schafft immer wieder aufs Neue die Ursachen für die Flucht. Dass die Türkei und Deutschland jetzt die Köpfe zusammenstecken bedeutet nicht, dass sie auch eine Lösung finden werden. Eine Lösung gibt es nur, wenn diese Länder sich nicht mehr im Sinne der Profite in die Angelegenheiten anderer Länder einmischen und den Nahen Osten destabilisieren.

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"Mit der HDP für eine demokratische Türkei", UZ vom 30. Oktober 2015



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