Die Thüringer Landespolitik ist eine emotionale Sache. Da werden selbst kühl kalkulierende Abgeordnete plötzlich zu Menschen. Wer in der vergangenen Woche eine Zeitung aufschlug, konnte kaum darüber hinweglesen, dass für Mario Voigt (CDU) ein „Lebenstraum“ in Erfüllung gegangen ist. Mit 51 Stimmen, sieben mehr als die von ihm geschmiedete Brombeer-Koalition ins Parlament einbringt, wählte der Landtag ihn zum Ministerpräsidenten des Freistaats.
Ermöglicht hatte diesen Erfolg die Linkspartei. Die hatte sich seit Wochen darüber beschwert, dass es in der CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen sie gibt. Wer gerne mitregieren will, und sei es politisch auch noch so bedeutungslos, ist von solchen Rahmenbedingungen natürlich nicht begeistert. Kurz vor der Wahl gelang dann aber der Durchbruch. Die Ober-Brombeeren holten die „Linke“ ins Boot, indem sie ihr ein „Drei-plus-eins-Format“ in Aussicht stellten. Der Deal: Voigt wird Ministerpräsident, dafür darf der Parlamentarische Geschäftsführer der Linkspartei einmal im Monat bei den Regierungsparteien vorsprechen. Der Platz am Katzentisch war verlockend genug, um den neuen „Landesvater“ zu stützen.
Da gab es dann sogar ein kleines Lob. BSW-Landeschefin Katja Wolf lobte den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow („Linke“) nach der Wahl als „Architekt einer stabilen Landesregierung“. Den CDU-Mann Voigt bezeichnet sie hingegen auch gerne mal als „Vater der Kompanie“. Während der Koalitionsverhandlungen hatte Wolf vor allem dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass sie die Kernforderung des BSW-Wahlkampfs untergraben hatte. Gefordert war ein deutliches Nein zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Im Koalitionsvertrag heißt es nun: „Wir erkennen an, dass viele Menschen in Sorge um die aktuelle geopolitische Lage und den Krieg in Europa sind und die Stationierung von Mittelstreckenraketen als eine fundamentale Veränderung der strategischen und militärischen Lage in Europa und auch in Deutschland begreifen. Eine Stationierung und deren Verwendung ohne deutsche Mitsprache sehen wir kritisch.“ Ein Kompromiss, mit dem schließlich auch die BSW-Parteizentrale leben konnte – oder musste.
Der Aufschrei in den bürgerlichen Medien war zuerst groß, kühlte sich jedoch merklich ab, während das BSW zunehmend trittsicherer durch den Brombeersumpf watete. Wen man nicht verhindern kann, muss man integrieren. Wie viel Gegenwehr das BSW leisten kann und will, bleibt abzuwarten. Denn auch wenn es gelungen ist, im Wahlkampf eine Debatte über Krieg und Raketenstationierung anzustoßen: Die erste Gelegenheit, sich selbst als ernstzunehmende parlamentarische Opposition gegen die Kriegs- und Krisenpolitik zu etablieren, wurde durch das sofortige Eintreten in eine programmatisch dünne Koalition mit den Kriegsparteien CDU und SPD vertan. Da wird auch das betont pragmatische Auftreten von Katja Wolf nicht helfen.
Am Ende geräuschvoller verlief der Regierungsantritt in Brandenburg. Dietmar Woidke (SPD), der im Wahlkampf mit dem schönen Slogan „Wenn Glatze, dann Woidke“ von sich überzeugt hatte, fiel im ersten Wahlgang durch. Nicht alle Mitglieder der SPD-BSW-Koalition hatten ihm das Vertrauen ausgesprochen. Im zweiten Wahlgang erhielt Woidke dann 50 Stimmen. SPD und BSW verfügen zusammen nur über 46 Sitze. Der CDU-Landesvorsitzende Jan Redmann warf Woidke daraufhin vor, mit den Stimmen der AfD gewählt worden zu sein, was wiederum die AfD erzürnte. „Das ist ausgeschlossen. Jedermann weiß, dass die Stimmen für Woidke nur von der CDU gekommen sein können“, so der AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt.
Wer auch immer Woidke in der geheimen Wahl unterstützte, bleibt Spekulation. Möglicherweise standen weniger politische Beweggründe dahinter und mehr der Wunsch, den bequemen Parlamentssessel nicht durch leichtfertig ausgelöste Neuwahlen zu gefährden.
Wie es zu den fehlenden Stimmen im ersten Wahlgang kam, dürfte leichter zu ermitteln sein. Schon vorab hatte der BSW-Abgeordnete Sven Hornauf angekündigt, Woidke nicht wählen zu wollen. Der Grund dafür war der geplante Ausbau des Bundeswehrstandorts Schönewalde/Holzdorf im Elbe-Elster-Kreis. Dort sollen „Arrow 3“-Abwehrraketen aus israelischer Produktion stationiert werden. Für Parteichefin Sahra Wagenknecht kein Bruch mit dem Friedensversprechen und dem Anti-Raketen-Wahlkampf ihrer Partei. „Arrow 3 sind allerdings keine Angriffsraketen“, erklärte sie gegenüber dem „Spiegel“ den Unterschied. Es spreche zwar gegen ihre Anschaffung, „dass sie auch als Abwehrwaffen gegen russische Raketen wenig taugen“. Doch diese Entscheidung sei auf Bundesebene getroffen worden. „Mit diesem Argument die neue Koalition zu torpedieren, finde ich nicht nachvollziehbar“, so Wagenknecht.
Dass im Poker der Atommächte auch Abwehrraketen der Angriffsvorbereitung dienen, wurde dabei nicht deutlich. Auch nicht, dass ihr Bündnis eben das Argument, dass militärische und außenpolitische Entscheidungen Bundespolitik seien, im Landtagswahlkampf stets zurückgewiesen hatte. Inwiefern es der neuen Landesregierung gelingt, solche Widersprüche zu überdecken und die eigenen Reihen zu schließen, wird die Zeit zeigen.