Zum Privatisierungswahn der neuen Bundesregierung

Mit Ansage vor die Wand

Im Norden der Republik leiden Berufspendler seit Jahren unter der Privatisierung von Autobahnen mit der Folge verzögerter Reparaturen und kilometerlanger Staus. Im Westen klicken sich Zehntausende allmorgendlich durchs Netz, um herauszufinden, welche Zugverbindung nach der Pleite des zweitgrößten Nahverkehrsanbieters in NRW, Abellio, noch bedient wird. Im Süden bangen die Kunden der in die Insolvenz gegangenen „Fulminant Energie“ den Januarrechnungen der Stadtwerke entgegen, die wenigstens die Strom- und Gasversorgung sicherstellen. Im Osten kämpfen diejenigen, die sich Hoffnungen auf die Wirkung des Volksentscheids zur Re-Vergesellschaftung der von Privaten ergaunerten Wohnungen und damit ein Ende der Mietsteigerungen gemacht hatten, gegen die Resignation. Und im ganzen Land sterben die Menschen zu Tausenden an einer Seuche, die auch deshalb so viele Tote fordert, weil das früher öffentlich organisierte dichte Krankenhausnetz ausgedünnt, personell ausgeblutet, unterbezahlt und dem Gewinnstreben unterworfen ist.

Der Wahn, alles zu Ware und dadurch zu Geld zu machen, ist millionenfach vor die Wand gefahren. Vor den schön klingenden Projekten der „Öffentlich-Privaten Partnerschaft“ (ÖPP) haben nicht nur Kommunisten und linke Gewerkschafter frühzeitig gewarnt. Auch aus Rechnungshöfen von Bund und Ländern kamen Hinweise, dies könne kein Sparmodell sein. Kein Privater werde eine solche Partnerschaft eingehen ohne die Aussicht auf einen Gewinn, der sich über die zum Teil Jahrzehnte langen Laufzeiten der vielfach unüberschaubaren Vertragswerke irgendwann einstellen müsse. Die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung nach günstigem Transport, erschwinglicher Wohnung, zuverlässiger Strom- und Gas- oder sicherer Gesundheitsversorgung würde unter dem Strich teurer kommen, als wenn dies staatlich ohne Gewinnerzielungsabsicht organisiert werden würde.

Obwohl tausendfach widerlegt, machen die Herrschenden weiter, weil Kapitalismus eben kein nach dem Prinzip der Vernunft, sondern ein um den heiligen Profit herum organisiertes System ist. Die Privatisierer werden unbelehrbar bleiben – wie beispielsweise die Ausgabe des Londoner „Economist“, des wichtigsten Selbstverständigungsorgans der herrschenden Kreise im US-amerikanischen und europäischen Westen, vom 15. Januar zeigt, die angesichts des Desasters der Privatisierung vor einer „neuen Ära der Intervention“ des Staates warnt. Beschwörend schließt sie einen „Special Report“ zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft mit den Worten, der „liberale Kapitalismus“ bleibe eine entscheidende Kraft des Guten. Der Unsinn zeigt: Sie riechen ihre Schwäche. Lassen wir sie nicht vom Haken: Die Privatisierungswelle muss gebrochen werden – um des Lebens willen.

Die neue Bundesregierung, deren Selbstetikettierung als „Regierung des Fortschritts“ schneller verblasst als ein Papieraufkleber mit „Atomkraft – nein danke“ wird dabei keine Hilfe sein. Vom Ziel des Sozialismus hat sich die deutsche Sozialdemokratie genauso weit entfernt wie die „Grünen“ von Basisdemokratie, Atomausstieg und Pazifismus. Der eigentliche Kern der neuen Regierung ist die Kraft, die sich politisch selbst treu geblieben ist – die FDP. Sie ist die Partei der Privatisierer. Um die Privatisierungswelle, die so viel Leid und Leben gekostet hat, zu brechen, helfen weder Vertrauen in Gott noch in die Regierung. Aus dem Elend müssen wir uns schon selbst befreien – für den Anfang am besten mit dem Sammeln von Unterschriften für die Vergesellschaftung der Energieunternehmen.

www.energiepreisstopp-jetzt.de

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"Mit Ansage vor die Wand", UZ vom 21. Januar 2022



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