Für alle, die sich mit der US-Außen- und Militärpolitik befassen, brachte das letzte Wochenende im März nützliche Erkenntnisse. Viele warteten angespannt auf den 2. April, den Tag, an dem US-Präsident Donald Trump neue Zölle verkünden wollte und den er „Tag der Befreiung“ nannte. Am gleichen Wochenende unternahm sein Verteidigungsminister Pete Hegseth seine erste Auslandsreise im Amt. Sie führte ihn in die Asien-Pazifik-Region, auf die Philippinen und nach Japan. Dort wollte Hegseth das Bündnis gegen, wie er formulierte, das „kommunistische China“ noch weiter stärken. Die Philippinen sollen 20 F-16-Kampfjets erhalten, für 5,58 Milliarden US-Dollar. Zudem will Washington dort modernste Antischiffsraketen stationieren. In Japan kündigte Hegseth an, das dortige US-Militärkommando werde aufgewertet und in ein vollgültiges Hauptquartier „für die Kriegsführung“ umgebaut.
Dass die Vereinigten Staaten unter Trump die sogenannte erste Inselkette vor der chinesischen Küste in eine waffenstarrende Angriffsrampe hochrüsten, ist nicht neu. Das hat schon Joe Biden getan. Seit Jahren ist es Konsens im US-Establishment, dass man das tun muss, um einen möglichen Krieg gegen China vorzubereiten.
Militärische Ressourcen bündeln
Neue Erkenntnisse brachte allerdings ein Bericht der „Washington Post“ über ein als geheim eingestuftes Papier aus dem US-Verteidigungsministerium, der erschien, als Hegseth auf dem Weg von den Philippinen nach Japan war. Das Papier umfasst zentrale Richtlinien für führende Mitarbeiter des Pentagon und es zirkulierte dort, vom Minister mit seiner Unterschrift versehen, seit Mitte März. Die Kernaussage: Die Trump-Regierung ist fest entschlossen, sämtliche militärischen Ressourcen der USA – eine gewisse Aufrüstung an der Grenze zu Mexiko ausgenommen – in den Aufmarsch gegen China zu werfen, in die Militarisierung etwa der ersten Inselkette, aber auch der pazifischen Inselwelt.
Hegseth hatte nicht ohne Grund Station auf Guam gemacht, einer US-Inselkolonie mit riesigen Militärbasen, weit westlich im Pazifik gelegen. Alle Ressourcen für den Kampf gegen die Volksrepublik nutzen – das meint die Trump-Regierung durchaus ernst. China sei „die einzige Bedrohung“, an der sich die US-Streitkräfte ausrichteten, so zitierte die „Washington Post“ den Verteidigungsminister. Die Hochrüstung der US-Streitkräfte bereite diese ganz gezielt auf einen Krieg gegen die Volksrepublik vor.
Bereits Präsident Barack Obama hatte 2011 einen „Schwenk nach Asien“, den „Pivot to Asia“, verkündet mit dem Ziel, die Volksrepublik in den Fokus der US-Streitkräfte zu rücken. Trump in seiner ersten Amtszeit wie auch Joe Biden setzten das fort. Zuweilen ließen sie sich ablenken, etwa durch den Krieg gegen den IS und zuletzt durch Waffenlieferungen an Israel für den Gaza-Krieg. Um das künftig zu vermeiden, will das Pentagon künftig nur noch kleinere Anti-Terror-Operationen zulassen, so etwa Luftangriffe auf die jemenitischen Ansar Allah.
EU soll Russland übernehmen
Während Biden noch viele Milliarden in den Ukraine-Krieg investierte, will Trump damit Schluss machen. Er will sämtliche militärische Aktivitäten gegen Russland den NATO-Staaten Europas beziehungsweise der EU überlassen, damit er für den großen Machtkampf gegen Peking auch wirklich alle Hände, Panzer und Raketen frei hat. Die USA sollen sich nur noch um Schwachpunkte nahe den eigenen Grenzen kümmern: um den Panamakanal, den im Kriegsfall feindliche Schiffe durchqueren könnten; um Grönland, weil feindliche, seien es russische oder auch chinesische, Schiffe nach dem Abschmelzen des Eises über die Arktis angreifen, weil feindliche Raketen via Grönland auf die USA zufliegen könnten. Letztere Möglichkeit bestand schon im Kalten Krieg.
Den Russland-Faktor vom Hals zu haben – diese Hoffnung, das bestätigt das Pentagon-Papier – treibt Trump dazu, die Staaten Europas zur Hochrüstung zu drängen. Und nicht nur dazu. Trumps Russland-Strategie wird im US-Establishment gegenwärtig unter dem Stichwort „Reverse Kissinger“ diskutiert. Das bezieht sich darauf, dass Henry Kissinger in seiner Zeit als Nationaler Sicherheitsberater damit beschäftigt war, die Annäherung zwischen den USA und China zu bewerkstelligen und damit einen Keil zwischen Moskau und Peking zu treiben, um die Sowjetunion zu isolieren. Diesen Keil zu erneuern, nun aber mit dem Ziel, der Volksrepublik einen wichtigen Verbündeten zu nehmen, ist der Plan der Trump-Regierung. Die US-Zeitschrift „Foreign Affairs“ formulierte das Anfang April auf ihrem Internetportal so: „Russland von China wegzuziehen, um die Kräfteverhältnisse zugunsten der Vereinigten Staaten zu verschieben.“ Die Autoren des Beitrags wie auch die US-Demokraten halten diesen Plan für illusorisch. Demnach sei es vielmehr angebracht, Russland so umfassend wie möglich zu schwächen. Daher setzen sie weiter auf die Unterstützung für Kiew im Ukraine-Krieg.
Zollkrieg gegen Peking
China ist auch der zentrale Faktor in den Zoll- und Sanktionsschlachten, in dem Wirtschaftskrieg also, den die Trump-Regierung führt. Das gilt in mehrfacher Hinsicht. Schon in Trumps erster Amtszeit lag der Schwerpunkt seiner Zölle darauf, das China-Geschäft zu sabotieren. Das liegt ja auch nahe: Wenn man es auf einen großen Machtkampf mit einem Staat ankommen lassen will, ist es ziemlich unklug, vom Handel mit ihm abhängig zu sein. Auch von den aktuellen Zöllen der zweiten Trump-Regierung wird die Volksrepublik so schwer getroffen wie wohl kein anderes Land. Die alten Zölle aus Trumps erster Amtszeit bestehen immer noch fort – Biden behielt sie bei.
Jetzt kommen weitere hinzu: erst generelle Zölle in Höhe von 20 Prozent, darüber hinaus die Stahl- und die Autozölle, die im Grundsatz für alle Staaten gelten, also auch für China; zuletzt Zölle in Höhe von zusätzlichen 34 Prozent, die Trump am 2. April verhängte. Am 7. April drohte er mit einer weiteren Aufstockung um 50 Prozent. Drei Tage später, am 10. April, teilte Trump auf seiner Plattform Truth Social mit, er hebe die Zölle auf 125 Prozent an – wegen Chinas „Mangel an Respekt gegenüber den Weltmärkten”. Zugleich ordnete der US-Präsident eine 90-tägige Pause für die von ihm am 2. April angekündigten Strafzölle gegen 185 Länder an. Er begründete das mit dem Wohlverhalten von etwa 75 Ländern, die nicht mit Vergeltung auf seine Zollpolitik, sondern mit der Bitte um Verhandlungen reagiert hätten. Zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe lagen die gegen China verhängten US-Zölle bei 145 Prozent.
Kaum jemand blickt noch durch, welche Waren nun wie hoch genau verzollt werden müssen. Spezialisten gingen bereits vor den Ankündigungen vom 7. und 10. April davon aus, es seien im Durchschnitt wohl 60 Prozent auf sämtliche Lieferungen aus China in die USA. Damit schien das schon so lange heiß diskutierte Decoupling, die vollständige Entkopplung der beiden größten Volkswirtschaften der Welt, auf einmal konkret möglich.
Keine Rücksicht auf Verbündete
Offiziell begründet Trump die Zölle damit, er wolle eine angebliche Ausbeutung der USA durch andere Länder, darunter enge Verbündete, beenden und Industrien zur Übersiedlung in die Vereinigten Staaten veranlassen. Das Bemühen um Reindustrialisierung dient mehreren Zielen zugleich. Zum einen holt es Profite ins eigene Land, zum anderen gewährt es eine gewisse Autarkie, die höchst vorteilhaft ist, wenn man einen Konflikt mit einer anderen Macht austragen will. Welche Macht das ist, das hat man inzwischen schwarz auf weiß in dem von Hegseth unterzeichneten Pentagon-Papier.
Auch das Streben nach Reindustrialisierung reicht in Trumps erste Amtszeit zurück. Biden hat es weitergeführt, wenn auch eher mit Hunderte Milliarden US-Dollar schweren Subventionsprogrammen – dem Inflation Reduction Act (IRA) und einigen anderen. Hatte Biden bei alledem noch auf das Bündnis mit der EU gesetzt und allzu offene Angriffe auf das Staatenkartell vermieden, so kennt Trump diesbezüglich keinerlei Hemmungen mehr. Es geht ihm einzig und allein darum, die Vereinigten Staaten für den Machtkampf gegen China maximal zu stärken.
Der Architekt des Handelskriegs
Man kann Letzteres verdeutlichen am Beispiel der Person, die als Architekt der aktuellen Zollpolitik gilt. Das ist – unbeschadet der Tatsache, dass Trump selbst tatsächlich schon seit Jahrzehnten von Zöllen schwärmt – der Handelsberater des US-Präsidenten, Peter Navarro. Trump kennt Navarro spätestens, seit er die Verfilmung von dessen 2011 publiziertem Buch „Death by China“ sah und ausdrücklich lobte. Fast alle 16 Kapitel des Machwerks, das sich über mehr als 300 quälende Seiten hinzieht, beginnen mit dem Wort Tod: „Tod durch chinesisches Gift“, „Tod durch chinesischen Ramsch“, „Tod durch rote Hacker“, durch „chinesische Pogrome“, durch „China-Apologeten“ und vieles mehr. Das Buch soll, so lautet der Untertitel, „ein globaler Aufruf zum Handeln“ sein. Navarro hat Trump schon in dessen erster Amtszeit als Handelsberater begleitet und sich dabei ganz besonders mit dem US-Wirtschaftskrieg gegen die Volksrepublik befasst – und dabei vor allem mit den Zöllen. Daran knüpft er nun an. Navarro, das nur nebenbei, ist einer von 28 Mitarbeitern der ersten Trump-Regierung, gegen die Peking im Januar 2021 harte Sanktionen verhängte: Sie hatten es mit aller Macht darauf angelegt, der Volksrepublik schwer zu schaden.
Dazu hatte die erste Trump-Regierung auch auf Wirtschaftssanktionen zurückgegriffen, auf Sanktionen gegen Huawei zum Beispiel. Biden hatte die Sanktionen massiv ausgeweitet, vor allem mit dem Ziel, die Volksrepublik an der Entwicklung ihrer eigenen High-Tech-Chips zu hindern. Die zweite Trump-Regierung begann schon ziemlich bald, die nächste Sanktionsschippe draufzulegen. In der letzten Märzwoche verhängte sie Sanktionen gegen 80 Unternehmen und Organisationen aus der Volksrepublik, die nun auch keinerlei US-Technologie mehr kaufen durften. Wie so viele Sanktionen traf dies auch US-Chiphersteller, etwa Intel, AMD und den KI-Chip-Star Nvidia, die Umsatzverluste hinnehmen mussten. Aber da muss man eben durch, so lautet die Logik der US-Regierung, wenn man China in die Knie zwingen oder wenigstens am weiteren Aufstieg hindern will.
Es geht ums Ganze
Peking hat ankündigt, „bis zum Ende kämpfen“ zu wollen und ist offensichtlich davon überzeugt, sich durchsetzen zu können. Es geht ums Ganze. Wer den Zollkrieg gewinnt, gewinnt eine Etappe im Kampf darum, ob die westliche Dominanz dem Ende entgegengeht und China zur neuen Weltmacht wird. In der Tat spricht für China viel dafür, die Auseinandersetzung jetzt zu führen. Die eigene Wirtschaft ist viel stärker als während der Zollscharmützel zu Trumps erster Amtszeit, die Vereinigten Staaten sind im Innern gespalten, die Volksrepublik nicht. Trumps Politik löst selbst in den eigenen Reihen Widerspruch aus. Zudem geht Washington inzwischen auch gegenüber Verbündeten zu demonstrativer Unterwerfung über. Das ist für niemanden wirklich attraktiv. Die Suche nach Alternativen hat längst begonnen. Auch das dürfte China darin bestärken, dass die Zeit zum offenen Widerstand gegen die US-Dominanz gekommen ist.