Luca S. (27) arbeitet als Lehrer in Frankfurt am Main. Seit Jahren ist er politisch engagiert und aktiver Gewerkschafter. Als Mitglied der GEW-Betriebsgruppe an seiner Schule nahm er in dieser Woche am GEW-Kongress teil. Nach einer Demonstration vor zwei Jahren geriet er ins Fadenkreuz eines politischen Prozesses, der nun seine Fortsetzung findet. Aufgrund eines nicht rechtskräftigen Urteils in erster Instanz darf er sein Referendariat nicht antreten. Seine berufliche Zukunft ist gefährdet! UZ sprach mit ihm über die Vorwürfe, den Ablauf des Verfahrens und das drohende Berufsverbot.
UZ: Am 1. Mai 2021 hast du an der Abenddemonstration in Frankfurt teilgenommen. Was hast du dort erlebt?
Luca S.: Es war nach mehreren Jahren die erste größere Demonstration in Frankfurt. Laut Medienberichten waren 5.000 Menschen auf der Straße – weit über das Spektrum der politischen Linken hinaus. Die Demonstration verlief über zwei Stunden friedlich bis in den Stadtteil Gallus. Dort gibt es an einer recht engen Stelle eine Grünanlage. Die Stimmung war gut und laut, als die Demonstration dort eintraf. In einem einzigen Block wurde Pyrotechnik gezündet. Daraufhin kam es zu einem brutalen Polizeieinsatz. Die Demonstration wurde innerhalb von wenigen Minuten aufgelöst und auseinandergeknüppelt. Vor uns stand eine Polizeikette, aus einer Seitenstraße fuhr ein Wasserwerfer auf die Menge zu, während von hinten immer noch Demonstrationsteilnehmer hinzuströmten. Es war beengt und unübersichtlich. Mindestens zwei Schwerverletzte lagen mit Kopfverletzungen am Boden, wie später auch die Polizei bestätigte. Sie waren auf Rettungsmaßnahmen angewiesen. Ich war von meiner Gruppe getrennt und sah mehrere Rauchtöpfe auf der Straße, deren Rauch die Sicht versperrte – für die Rettungskräfte, aber auch für mich. Einen davon schnippte ich in gebückter Haltung aus dem Handgelenk nach hinten, weg von den Verletzten. Ich habe ihn nicht hochgeworfen und konnte auch nicht sehen, wo er liegen geblieben ist; das zeigte später auch das Polizeivideo. Danach stieg ich in die S-Bahn und fuhr nach Hause. Natürlich waren wir alle geschockt vom Vorgehen der Polizei.
UZ: Das hätte eigentlich auch das Ende dieser Geschichte sein können. Doch aus dem zur Seite geräumten Rauchtopf sollte die Polizei später einen „Wurf“ konstruieren. Wie hast du erfahren, dass gegen dich ermittelt wird?
Luca S.: Zwei Monate nach dem 1. Mai nahm ich an einer Kundgebung der IG BAU zur Solidarität mit dem revolutionären Kuba teil und wurde von einem rechten Exilkubaner angespuckt. Das ließ ich mir nicht gefallen und ging zu den Polizisten, die das Geschehen beobachtet hatten. Es wurde eine Anzeige aufgenommen und ich kehrte in die Kundgebung zurück. Etwa 10 bis 15 Minuten später kam ein Greiftrupp der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, packte mich und nahm mich mit. Mitten auf dem Opernplatz wurde ich durchsucht und musste mich vor zwei nebeneinandergestellten Polizeiwagen bis auf die Unterhose ausziehen. Man verweigerte mir ein Gespräch mit einem Anwalt, ich erhielt auch kein Protokoll der Festnahme.
Es vergingen Monate, bis mir von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt wurde, dass ein Verfahren gegen mich eröffnet wird. Da erfuhr ich zum ersten Mal von dem Video, vom angeblichen Rauchtopfwurf und von einer ganzen Palette an absurden Vorwürfen: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Landfriedensbruch, Körperverletzung in Tateinheit mit Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz. Am 27. Mai 2023 stand ich dann in Frankfurt vor dem Amtsgericht – mehr als zwei Jahre nach der Demonstration.
UZ: Wie hast du die Verhandlung erlebt?
Luca S.: Es war von Anfang an klar, dass das ein politischer Prozess war. Die Richterin war offenbar kurzfristig eingesetzt worden und wusste im Grunde kaum, worum es ging. Der junge Staatsanwalt trat aggressiv auf. Er kommt aus dem Wirtschaftsrecht, hatte zuvor eine Schrift zur juristischen Prüfung des Mietergesetzes und der Enteignung verfasst. Sein Ziel war es, mich in eine linksradikale, gewalttätige Ecke zu stellen. Er behauptete, dass ich jemand sei, der „nicht bereit sei, die Scheiße, die er gebaut hat, zuzugeben“. Dafür wurde er sogar von der Richterin gerügt.
Das Highlight war aber der Auftritt der beiden Polizeizeugen. Der Einsatzleiter hatte nicht viel beizutragen. Er musste jedoch zugeben, dass es keine Verletzungen oder Dienstunfähigkeiten durch mich gegeben hatte. Niemand wurde geschädigt! Völlig unklar war auch, was das für ein Rauchtopf war – ob er kalten oder warmen Rauch erzeugte. Das wollten sie ausgerechnet von mir wissen, obwohl ich das Ding weder mitgebracht noch angezündet hatte. Der andere Polizist verstrickte sich in Widersprüche, konnte sich auf dem Polizeivideo noch nicht einmal selbst identifizieren. Er hatte schriftlich zu Protokoll gegeben, dass ihn der Rauchtopf an der Schulter getroffen habe. Vor Gericht sprach er dann von „Kniehöhe“. Auf wiederholtes Nachfragen gab er an, sich gar nicht erinnern zu können und dass der Rauchtopf möglicherweise auch einen Meter von ihm entfernt gelandet sei. Auf Anregung meiner Anwältin wollte die Richterin danach über eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflage sprechen. Der Staatsanwalt sagte aber: Er kann, will und – Achtung! – darf hier keine Einstellung machen. Damit war das vom Tisch. Das Gericht zog sich für zehn Minuten zur Beratung zurück. Sowohl meine Anwältin als auch ich waren überzeugt, dass nach diesem Auftritt ein Freispruch kommen müsste. So kam es aber nicht. Auch wenn einige Anklagepunkte ausgeräumt wurden, wurde ich in erster Instanz zu einer hohen Geldstrafe von 3.000 Euro verurteilt, zusammen mit den Verfahrenskosten ergibt das insgesamt knapp 4.500 bis 5.000 Euro.
Der Staatsanwalt legte noch am selben Tag Revision ein, um eine höhere Strafe zu erreichen. Am 27. September stehe ich erneut vor Gericht.
UZ: Welche beruflichen Konsequenzen drohen dir durch das Verfahren?
Luca S.: Mir droht de facto ein Berufsverbot. Ich habe mich nach dem ersten Staatsexamen für den Vorbereitungsdienst in Hessen beworben. Am letzten Tag vor den Sommerferien erhielt ich den Ablehnungsbescheid per E-Mail. Unterzeichnet und begründet war das Schreiben von einem CDU-Mitglied im Kultusministerium Hessen. Dort stand drin, dass ich für den Lehrberuf ungeeignet sei, weil ich eine Vorstrafe hätte. Das ist doch maximal verwunderlich. Denn mein Verfahren ist in Revision gegangen – ich bin nicht rechtskräftig verurteilt und habe keine Vorstrafe. Ich könnte auf Jahre meinen erlernten Beruf nicht ausüben und vor allen Dingen mein Referendariat nicht machen und meine Ausbildung nicht abschließen. Absurd ist, dass ich derzeit noch einen gültigen Arbeitsvertrag als Lehrer habe. Wenn ich im neuen Verfahren verurteilt werden sollte, habe ich auch keinerlei Sicherheit, dass ich nicht gekündigt werde.
UZ: Du hast den Prozess öffentlich gemacht. Welche Reaktionen hast du bisher erlebt?
Luca S.: Es ist ein politischer Prozess, den man auch politisch angehen muss. Deshalb ist Öffentlichkeit wichtig. Schon jetzt erfahre ich eine Anteilnahme, die mich stolz und glücklich macht. Es ist eine Welle der Solidarität, die mich durch diese Zeit trägt. Von Menschen, die früher von Berufsverboten betroffen waren, von Gewerkschaftern, von linken und bürgerlichen Personen und auch von Leuten, die ich gar nicht kenne oder zuordnen kann. Auch im Alltag, in meinem persönlichen Umfeld und in der Gewerkschaft erfahre ich viel Solidarität und Unterstützung. Es gibt eine Petition, die gut gestartet ist. Am 27. September wird um 9 Uhr eine Solidaritätskundgebung vor dem Landgericht in Frankfurt stattfinden. Mir ist es wichtig, dass dort viele Unterstützer zusammenkommen und es keine Organisationsveranstaltung wird. Im Vordergrund soll die Solidarität und unser Kampf gegen Berufsverbote stehen.
Die Petition „Luca muss Lehrer bleiben“ kann hier unterzeichnet werden.
Solidaritätskundgebung am 27. September, 9 Uhr, vor dem Landgericht Frankfurt am Main
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