Am Abend des 31. März, haben organisierte Gruppen in Gyergyószentmiklós (deutsch: Niklasmarkt), einer Kleinstadt im rumänischen Siebenbürgen, ein Wohnhaus von Roma-Familien, das benachbarte Wirtschaftsgebäude sowie mehrere Strohballen in einem offensichtlichen Akt der Selbstjustiz angezündet. Kritische Berichte sprechen davon, dass Frauen und Kinder vor versammelter Zuschauermenge geschlagen und JournalistInnen bei ihrer Arbeit behindert worden seien. Erst durch den Eingriff der rumänischen Polizei aus der benachbarten Kreishauptstadt konnte dem Gewaltausbruch ein Ende gesetzt werden.
Dieser Vorfall stellt die offizielle Politik der sozialen Inklusion der Roma-Minderheit seitens der rumänischen Regierung ernsthaft in Frage. Die von der EU-Kommission überwachte nationale Strategie hat einen Zeithorizont bis 2020. Dabei handelt es sich vor allem um Bildungsprogramme, wobei knapp 23 Mrd. Euro aus EU-Töpfen kommen. Angesichts der umfangreichen bürokratischen Prozeduren bei der Projektvergabe auf EU-Ebene und der verbreiteten Korruption in Politik und Verwaltung in Rumänien ist jedoch zweifelhaft, wie weit dieses Geld tatsächlich auch auf der untersten Ebene – wie etwa im konkreten Fall – etwas bewirkt.
Gyergyószentmiklós ist zudem ein spezifischer Fall: Die Stadt liegt im historischen Szeklerland im Osten Siebenbürgens; dieses war bis 1918, bevor es nach Rumänien kam, ein Herzland des Königreichs Ungarn. Die Szekler, ethnische Ungarn, stellen mit über siebzehntausend BewohnerInnen die überwiegende Mehrheit. Die Rumänen nennen den Ort Gheorgheni; von ihnen leben nur etwa zweitausend in der Stadt. Noch kleiner ist die lokale Gemeinschaft der Roma: sie zählt offiziell um die 300 Personen.
Bürgermeister Zoltán Nagy brachte gegenüber der ungarischen Presse zum Ausdruck, dass die Asche schon lange vor dem Brandanschlag geschwelt habe. Kinder der betreffenden Roma-Familien, deren Haus angezündet worden sei, hätten auf dem Kundenparkplatz der angrenzenden „Kaufland“-Filiale Diebstähle verübt, zugleich sei die Polizei auf Grund der Minderjährigkeit der Täter in ihrem Handeln eingeschränkt gewesen. Der regionale rumänische Polizeisprecher verwies auf einen zwei Tage zuvor von zwei fünfzehnjährigen Burschen verübten Diebstahl in Höhe von knapp siebentausend Euro, die sie einem 78-jährigen Autofahrer an der Kreuzung abgenommen hätten. Gegenüber der rumänischen Presse wurde zum Ausdruck gebracht, dass mehrere Ungarn ihren Nachbarn aus der Roma-Gemeinde „eine Lektion“ erteilen wollten. Die Polizei wandte sich nach dem Vorfall an die Staatsanwaltschaft zur Einleitung einer Untersuchung auf Störung der öffentlichen Ordnung und Sachbeschädigung. Anscheinend wurden weder von den ungarischen noch von rumänischen Medien die Betroffenen des Brandanschlags befragt, um auch eine andere Version zu hören. Dies ist ein Beleg für den tatsächlichen Zustand der von oben beschlossenen Integrationspolitik.
Der Vorfall vom 31. März ist jedoch nicht nur im Zusammenhang mit der Situation der Roma-Minderheit in Rumänien zu sehen. Auch die politischen Vorgänge im benachbarten Ungarn, die in der Szekler-Gemeinde lebhaft verfolgt werden, spielen hier hinein. Unter dem Orban-Regime, das auch auf die jenseits der1920 in Trianon gezogenen Grenzen lebenden ungarischen Minderheiten in der Slowakei, Serbien und Rumänien ausstrahlen will, ist schon seit geraumer Zeit eine Hetze gegen die heimischen Roma-Gemeinschaften im Gange. Die kritische Journalistin Boróka Parászka, Mitarbeiterin des Radios Marosvásárhely/Târgu Mures hat nunmehr vor den im Szeklerland zu befürchtenden Folgen des Gewaltausbruchs von Gyergyószentmiklós gewarnt: „In der Region Gyergyó und im Gyergyóer Becken tuschelt man nun, dass sich das Feuer ausbreiten werde, jederzeit könne auch das eine oder andere Haus in den umliegenden Dörfern brennen.“
Dies geschieht vor dem Hintergrund eines ständig schrumpfenden Gemeindebudgets. So hat sich die Gemeindeverwaltung von Gyergyószentmiklós unmittelbar vor dem Brandanschlag gezwungen gesehen mitzuteilen, dass sie ihre kommunalen Dienste 2017 einschränken muss. Sozialabbau, dies sieht man auch an diesem Beispiel, setzt die Suche nach Sündenböcken und Ventilen in Gang. Zu diesen gehört nicht zuletzt auch die Gruppe der Roma, die geeignet ist, zur Zielscheibe von rassistisch eingestellten Teilen der ungarischen Minderheit zu werden.