Anhebung auf 12 Euro zeigt Dimension des Lohndumpings in Deutschland

Millionen profitieren von höherem Mindestlohn

Am 1. Oktober wurde der gesetzliche Mindestlohn auf 12 Euro erhöht. Dies nahm der DGB am 28. September zum Anlass, einen bundesweiten Aktionstag durchzuführen. An mehr als 230 Bahnhöfen und Plätzen informierten Gewerkschafter über die Anhebung der unteren Lohngrenze. Gleichzeitig machte der DGB bei den Aktionen deutlich, dass die Mindestlohnerhöhung angesichts explodierender Preise nur ein erster Schritt sein kann.

Dennoch ist es ein wichtiger Schritt, wie Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung belegen. Die Erhöhung der Lohnuntergrenze kommt 6,64 Millionen Menschen zugute – das entspricht 17,8 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. In Westdeutschland profitieren 5,18 Millionen (16,1 Prozent) der Lohnabhängigen. In Ostdeutschland sind es mit 1,46 Millionen fast 30 Prozent der dort arbeitenden Menschen. Nach Zahlen des WSI sind unter denjenigen, denen die aktuelle Erhöhung zugutekommt, 2,55 Millionen vollzeitbeschäftigt. Das bedeutet im Umkehrschluss: Bundesweit erhielt bisher jeder zehnte Vollzeitbeschäftigte weniger als 12 Euro Stundenlohn. Unter Teilzeitbeschäftigten waren es 20,1 Prozent und unter Minijobbern sogar 80 Prozent.

Auch eine aktuelle Untersuchung des wirtschaftsnahen Ifo-Instituts bestätigt die Dimension des praktizierten Lohndumpings. Von 6.900 befragten Unternehmen gab fast ein Drittel an, einen Teil der Mitarbeiter für weniger als 12 Euro pro Stunde zu beschäftigen. In der Gastronomie waren es 78 Prozent, in der Zeitarbeit 64 Prozent, im Einzelhandel 58 Prozent, in der Textilindustrie 72 Prozent und in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie 61 Prozent der befragten Firmen.

Geht es nach Kapitalseite, soll sich daran – trotz der gesetzlich vorgeschriebenen Erhöhung der Hungerlöhne – wenig ändern. In der genannten Ifo-Befragung gaben jeweils 18 Prozent der befragten Unternehmen an, in Reaktion auf die Mindestlohnerhöhung in Erwägung zu ziehen, die Arbeitszeit zu verringern oder Sonderzahlungen zu kürzen.

Neben diesen legalen Formen der Unterwanderung der Mindestlohnerhöhung gibt es darüber hinaus in den Reihen der Unternehmer jede Menge kriminelle Energie. Nach Berechnungen des DGB wurden seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Beschäftigten in den unteren Lohnsegmenten – quer durch alle Branchen – um mehr als 14,5 Milliarden ihres kargen Gehalts betrogen.

Damit die beabsichtigten positiven Effekte der Mindestlohnerhöhung nicht verpuffen, braucht es schnell weitere Entlastungen. Daher fordert der DGB eine Energiepreispauschale in Höhe von 500 Euro als Soforthilfe. Diese soll allen Beschäftigten, Empfängern von Grundsicherung und anderer Sozialleistungen, Rentnern, Auszubildenden und Studierenden zugutekommen. Weitere dringend notwendige Maßnahmen wären aus Sicht des DGB eine Strompreis- und eine Gaspreisbremse. Darüber hinaus müssen Mieter davor geschützt werden, aufgrund steigender Nebenkosten ihre Wohnung zu verlieren. Außerdem sollten, angesichts der zu erwartenden massiven Zunahme der Arbeitslosigkeit, dringend Maßnahmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen und der Stabilisierung der Wirtschaft ergriffen werden.

Keine 24 Stunden nach dem DGB-Aktionstag hat die Bundesregierung tatsächlich ein 200-Milliarden-Paket angekündigt. Erklärtes Ziel ist es, neben einer Gas- und Strompreisbremse, vor allem Unternehmen zu „kapitalisieren“. Dieser „Schutzschirm für Unternehmen“ ist jedoch, anders als von den Gewerkschaften gefordert, nicht an klare Kriterien wie Beschäftigungssicherung und Tarifbindung gebunden. Ob und in welchem Maß „Übergewinne“ zur Gegenfinanzierung abgeschöpft werden sollen, geht aus den Verlautbarungen der Regierungsvertreter nicht hervor. Auch ein darüber hinaus gehendes Steuersystem, das Superreiche und große Konzerne zur Kasse bittet, sucht man bei den Ankündigungen der „Ampel“ zum 200-Milliarden-Paket vergebens. Es sieht so aus, dass die arbeitenden Menschen einmal mehr die Rettung ihrer Arbeitsplätze aus den vorher von ihnen selbst gezahlten Steuern und Abgaben finanzieren müssen.

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"Millionen profitieren von höherem Mindestlohn", UZ vom 7. Oktober 2022



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