Nur wenige Kinder in Deutschland litten unter „erheblichen materiellen Entbehrungen“, heißt es im fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2017. So drückt sich die alte und auch die neue Regierung vor den offensichtlichen Fakten. Immerhin zwei Millionen Kinder und Jugendliche beziehen Hartz IV. Experten gehen davon aus, dass 3 bis 3,5 Millionen Kinder in Familien leben, die weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung haben, also als arm gelten. Das Problem der Kinderarmut im reichen Deutschland ist seit Jahren bekannt. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist ein erneutes Armutszeugnis, weil er die Probleme nicht deutlich benennt und nur kosmetische Verbesserungen enthält. Insgesamt zwölf Milliarden Euro sollen in familienpolitische Leistungen investiert werden: 3,5 Milliarden will der Bund für die Erhöhung des Kindergelds und des Kinderfreibetrags bereitstellen, soll heißen, es werden sagenhafte 25 Euro pro Kind mehr. Noch mal 3,5 Milliarden gibt es für Ausbau und Verbesserung des Angebots in Kindertagesstätten, bei einer Quote, die in den meisten Bundesländern noch immer weit unter 50 Prozent aller notwendiger Plätze liegt, reichen die Milliarden bei weitem nicht aus, um den tatsächlichen Bedarf und Anspruch zu erfüllen. Eine Milliarde mehr soll für die Erhöhung des Kinderzuschlags budgetiert werden, den bekommen Eltern, deren Einkommen nicht ausreicht, um den Lebensbedarf ihrer Kinder zu decken. Bei 3,5 Millionen Kindern, die in Armut leben, reicht die Milliarde mehr für gerade mal 25 Euro mehr im Monat pro Kind.
Die Kosmetik der neuen Bundesregierung sieht man auch beim sogenannten „Bildungs- und Teilhabepakt“, hier stellt der Koalitionsvertrag in Aussicht, die Eigenbeteiligung für das Schulmittagessen für Geringverdiener soll wegfallen, Förderunterricht sollen auch solche Kinder bekommen können, die nicht unmittelbar versetzungsgefährdet sind und auch der Zuschuss von derzeit 100 Euro pro Jahr für Schulbücher, Hefte, Füller oder Ranzen soll erhöht werden. Bei durchschnittlich 250 Euro, die Eltern pro Schulkind jährlich aus ihrer Tasche zuzahlen, wird die noch nicht spezifizierte Erhöhung nicht kostendeckend sein.
Richtig wäre die Einführung eines einheitlichen Existenzminimums für Kinder und Jugendliche. Ein Problem bleibt allerdings: Auch weiterhin haben Hartz-IV-Empfänger nichts von der Erhöhung des staatlichen Kindergelds oder des Kinderfreibetrags, denn diese Erhöhungen werden sofort angerechnet, soll heißen, es ist ein Nullsummenspiel für die Eltern. Richtungsweisend wäre neben der Nichtanrechnung, wenn Schulbücher, Förderunterricht oder der Besuch einer Kindertagesstätte kostenlos wären. Ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung wäre es, wenn das Gießkannenprinzip nicht weiter verfolgt würde und die generelle Ausschüttung von Kindergeld und Kinderfreibetrag geändert würden zugunsten der Eltern und ihrer Kinder, die diese monatlichen Summen tatsächlich benötigen. Aber auch der mehr als Gutverdienende profitiert von diesen Leistungen, denn bei einem zu versteuernden Einkommen von rund 64 000 Euro pro Jahr gilt die „Günstigkeitsprüfung“ und die Eltern können ihre Steuerlast deutlich senken.
Mit der neuen Bundesregierung wird die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergehen, die Chancen für Kinder aus armen oder auch aus „normalen“ Arbeiter-Angestellten-Familien, eine Lebensplanung zu formulieren, die auch nur den Hauch von „Gerechtigkeit“ hätte, bleiben bei dieser Politik wenig rosig.