Die Volksbewegung gegen Krieg und Wiederbewaffnung wurde vor 70 Jahren verboten

Militaristen gestört

Michael Henkes

Die Folgen des größten Menschheitsverbrechens, ausgelöst vom Machtanspruch deutscher Imperialisten, waren noch allgegenwärtig: mehr als 70 Millionen Tote, darunter allein 24 Millionen Sowjetbürger und fast acht Millionen Deutsche, Massaker, zerstörte Städte, Besatzung und Hunger. Das bildete die Grundlage einer breiten antimilitaristischen Haltung innerhalb der deutschen Bevölkerung nach 1945. Eine Haltung, die so präsent war, dass selbst ein Reaktionär wie Franz Josef Strauß sich zu der Warnung genötigt sah, dass all jenen, die „noch einmal das Gewehr in die Hand“ nähmen, eben diese abfallen möge. Doch dass Frieden nicht im Interesse der deutschen herrschenden Kreise und der westlichen Alliierten lag, wurde schnell deutlich.

Die westlichen Besatzungszonen spielten in den militärischen Plänen der USA von Anfang an eine gewichtige Rolle als „antikommunistischer Brückenkopf“ im Herzen Europas. Forderungen der Sowjetunion nach einem neutralen und vereinigten Deutschland waren nicht im Interesse der US-Monopole und wurden abgelehnt. Die deutschen Konzernchefs und ihr politisch-militärisches Begleitpersonal schielten auf eine konsequente Westorientierung inklusive eigener Streitkräfte, was gleichbedeutend war mit der Spaltung Deutschlands. Da sie in einem neutralen Deutschland ohne besondere Schützenhilfe aus den USA hätten auskommen müssen, wäre für sie wohl der Zwang zu befürchten gewesen, sich dem Potsdamer Abkommen tatsächlich zu fügen. Gepaart mit einer breiten Volksbewegung hätten die dort aufgestellten demokratischen und antimonopolistischen Forderungen ihren Spielraum zumindest schmerzlich begrenzt. Getreu dem Motto Konrad Adenauers „Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb“ entschied man sich also auch in deutschen Kreisen für eine Einordnung in den „Westen“. In Frankreich gab es von Seiten der Konzernherren als auch von der sehr starken demokratisch-antimonopolistischen Volksbewegung Vorbehalte gegen ein bewaffnetes Deutschland: „Einordnung in den Westen“, das bedeutete auf kurz oder lang eine Remilitarisierung mit Zustimmung der westlichen Alliierten.

Spätestens mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 waren dafür die formalen Voraussetzungen erfüllt. Die Pläne für die Aufstellung einer deutschen Armee wurden nicht im neugewählten Bundestag oder in der Öffentlichkeit erörtert. Bundeskanzler Konrad Adenauer sprach über sein Ziel einer deutschen Armee mit einer US-amerikanischen Zeitung – Sinnbild für die gesamte Chronik der Wiederbewaffnung. Die Herrschenden waren sich bewusst, dass sie dem deutschen Volk nicht einfach die Divisionen vor die Nase setzen konnten. Adenauer mahnte also ein schrittweises Vorgehen an. Das „Amt Blank“ war 1950 der wenig verhüllte erste Schritt hin zu einem Kriegsministerium; es folgte 1951 die Aufstellung des „Bundesgrenzschutzes“, einer paramilitärischen Polizeieinheit mit Schützenpanzern und Maschinengewehren.

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Hamburg, 26. Juni 1951, in Vorbereitung der III. Weltfestspiele der Jugend treffen sich rund 1000 Hamburger Jugendliche mit Helgolandbesetzern, die sich von einem siebenwöchigen Gefängnisaufenthalt erholen. (Foto: UZ-Archiv)

Doch die Wiederbewaffnung stieß auf erbitterten Widerstand. Es formierte sich eine Friedensbewegung, die – anders als in späteren Kämpfen – über eine feste Basis in der Arbeiterklasse vor allem in den Großbetrieben verfügte. Sie entfaltete ihren Einfluss bis in demokratisch gesinnte Teile der Mittelschicht und der nichtmonopolistischen Bourgeoisie. Die Kommunisten haben diese Bewegung nicht „unterwandert“, sondern sie traten als Teil der Arbeiterklasse offen auf und waren eine vorwärtstreibende Kraft.

Bereits 1949 gründete sich ein westdeutsches Friedenskomitee. Von Jahr zu Jahr beteiligten sich mehr Menschen an den vor allem von der Arbeiterjugend getragenen Protesten rund um den 1. September. Unter dem Schlagwort „Ohne mich!“ sammelte sich eine breite Bewegung. Dabei spielten KPD und FDJ eine gewichtige Rolle in der Organisation des Widerstands, vor allem in den Betrieben; erstere auch als Friedenspartei im Bundestag. Getragen wurde die außerparlamentarische Bewegung auch von zahlreichen Intellektuellen und bürgerlichen Demokraten – selbst von jenen national-bürgerlichen Kräften (Nauheimer Kreis), die in der Wiederbewaffnung den nächsten Schritt Richtung Teilung sahen. Die Basis der SPD war ein wichtiger Teil der Friedensbewegung, die Unterstützung der rechten Führung blieb formal. Teile der DGB-Spitze sprachen sich zwar für die Remilitarisierung aus, aber die antimilitaristische Haltung war von der Basis bis in die Führungsebene einzelner Industriegewerkschaften so stark, dass der DGB in Gänze doch als Gegner der Wiederbewaffnung auftrat – allerdings nicht konsequent und schon gar nicht durch den Aufruf zu betrieblichen Kampfmitteln. Der DGB-Vorsitzende Christian Fette musste aufgrund seiner Befürwortung der Remilitarisierung seinen Posten räumen. Zahleiche Gruppen kämpften gegen die Pläne der westdeutschen Reaktion: Sowohl der 1950 gegründete Demokratische Frauenbund (DFD) und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) als auch mehrere christliche Initiativen schlossen sich der Friedensbewegung an. Großen Widerhall in der Öffentlichkeit fanden der Stockholmer Appell zum Verbot der Atomwaffen (1950) sowie zahlreiche Aktionen der FDJ, bei denen in Brücken neu angelegte Sprenglöcher wieder geschlossen wurden oder Helgoland durch eine Besetzung vor der Bombardierung durch britische Flugzeuge zu Übungszwecken bewahrt worden war. In den Betrieben gärte es: Im Rahmen des Koreakrieges mussten deutsche Kumpel Sonderschichten – sogenannte „Panzerschichten“ – einlegen, um den Bedarf der amerikanischen Rüstung zu decken. Es kam zu zahlreichen Streiks, getreu der von der KDP ausgegeben Losung „Auf Panzerschichten folgen Panzerschlachten!“. Die Panzerschichten wurden daraufhin 1951 zurückgenommen.

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Januar 1950, Internationale Friedenskundgebung in Essen mit Max Reimann, Hermann Matern (DDR), Pierre Villon (Frankreich) und Jan Haaken (Niederlande) (Foto: UZ-Archiv)

Die bedeutendste Initiative der damaligen Friedensbewegung war die Volksbefragung gegen die Remilitarisierung. Ihren Ursprung hatte sie in der Aufforderung Martin Niemöllers, Adenauer solle eine Volksbefragung zur Wiederbewaffnung durchführen. Selbstverständlich stieß er damit in Bonn auf taube Ohren. Am 20. Januar 1951 wurde in Essen auf einem breit angelegten Friedenskongress ein „Manifest gegen die Remilitarisierung Deutschlands“ verabschiedet und ein Ausschuss zur Vorbereitung einer Volksbefragung gewählt. Die Bevölkerung sollte gefragt werden:

„Sind Sie gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951?“

Welche Sprengkraft diese im ersten Moment doch recht harmlos anmutende Frage an das Volk hatte, zeigte die Reaktion des westdeutschen Innenministers Robert Lehr. Der witterte hinter der Volksbefragung Bestrebungen zum „Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung“ und verbot sie am 24. April 1951. Die SPD-Führung schloss sich dem an, da das Grundgesetz dieses Instrument nicht vorsehe. Der DGB-Bundesvorstand warnte vor der Teilnahme an der Volksbefragung – entgegen der Stimmung unter seinen Mitgliedern. Eine Belegschaft nach der anderen sprach sich in Betriebsversammlungen und Warnstreiks gegen die Wiederbewaffnung aus. Die westdeutsche Regierung indes verhandelte ungeachtet aller Proteste mit den Alliierten über den Aufbau einer deutschen Armee.

Trotz Verbots wuchs die Beteiligung an der Volksbefragung. Die Antwort der Herrschenden darauf waren die Verschärfung des „Adenauer-Erlasses“ – einer frühen Variante der Berufsverbote – von 1950 sowie die Einführung des politischen Strafrechts 1951 mit dem neuen Straftatbestand der „Staatsgefährdung“, der sich gegen jeden Antimilitaristen richtete. Mit der Volksbefragung waren Organisationen wie die VVN in einigen Bundesländern verboten worden. Am 26. Juni 1951 erfolgte das Verbot der FDJ in der Bundesrepublik, Ende November dann der Verbotsantrag gegen die KPD. Die Repression wurde gesteigert, dafür griff die Bundesregierung vermehrt auf Nazischergen zurück. 1952 wurde Schießbefehl gegen eine Demonstration der Friedensbewegung in Essen erteilt. Philipp Müller, ein Mitglied der FDJ, wurde durch Polizeikugeln ermordet.

Diesen massiven Repressionen zum Trotz sprachen sich bei der Volksbefragung bis März 1952 weit über neun Millionen Bürger gegen eine Wiederbewaffnung aus. Letztlich ging der Kampf verloren, wobei der wirtschaftliche Aufschwung und die tiefe Verwurzelung des Antikommunismus eine Rolle spielten. Doch blieb er Anknüpfungspunkt für die Friedensbewegungen gegen Atomwaffen in den späten 50er und 80er Jahren und damit ein Lehrstück für die Kämpfe für Abrüstung und Frieden.

Beschluss der Bundesregierung am 24. April 1951:

  1. Die von der SED, dem Gewalthaber der Sowjetzone, betriebene Volksbefragung „gegen Remilitarisierung und für Friedensschluss im Jahre 1951“ ist dazu bestimmt, unter Verschleierung der verfassungsfeindlichen Ziele die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zu untergraben. Die Durchführung der Aktion stellt einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes dar.
  2. Die Vereinigungen, die diese Aktion durchführen, insbesondere die dazu errichteten Ausschüsse sowie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der Gesamtdeutsche Arbeitskreis für Land- und Forstwirtschaft und das Deutsche Arbeiterkomitee richten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und sind daher durch Artikel 9 Abs. 2 GG kraft Gesetzes verboten.

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"Militaristen gestört", UZ vom 23. April 2021



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