Militarisierung und „Kriegstüchtigkeit“ werden hierzulande seit Verkündung der sicherheitspolitischen „Zeitenwende“ nach dem russischen Angriff auf die Ukraine bekanntlich massiv forciert – was im Zweifel sehr viel mehr meint als grundgesetzkonforme Verteidigungsfähigkeit. Dabei sollen auch die Köpfe der mehrheitlich noch skeptischen Bürger und Bürgerinnen erobert werden – besonders die von Jugendlichen. „Wir müssen kriegstüchtig werden“, hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wiederholt gefordert und damit nicht allein die Bundeswehr gemeint, sondern Politik, Staat und Gesellschaft. Und so wird der Weg zu einer „wehrhaften“ Gesellschaft und einem „kriegstüchtigen“ Deutschland mit großem Aufwand politisch, ideologisch, wissenschaftlich und medial begleitet, unterstützt und gerechtfertigt – bis hinein in zivile Einrichtungen. Auch bis hinein in Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungsbereiche, die von „Zeitenwende“ und Kriegsertüchtigung nicht verschont bleiben. Den Anfang in diese Richtung machte Bayern mit dem „Bundeswehrförderungsgesetz“, das der bayerische Landtag Mitte 2024 mit den Stimmen von CSU, Freien Wählern und SPD verabschiedet hat.
Kooperationspflicht mit der Bundeswehr
Mit diesem Gesetz werden die bayerischen Schulen, Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen dazu angehalten, enger mit der Bundeswehr zu kooperieren. Neben einem prinzipiell verordneten Kooperationsgebot wird fallweise im „Interesse der nationalen Sicherheit“ ausdrücklich auch eine Kooperationspflicht der Schulen und Hochschulen vorgeschrieben.
Mit dem Gesetz sollen, so wörtlich, eine „reibungslose Zusammenarbeit“ und ein „ungehinderter Zugang der Bundeswehr zu Forschung und Entwicklung an Hochschulen sichergestellt“ werden und auch zu wissenschaftlichem Knowhow und wissenschaftlich qualifizierten Fachkräften. Weiter heißt es im Gesetzestext: „Erzielte Forschungsergebnisse dürfen auch für militärische Zwecke der Bundesrepublik Deutschland oder der NATO-Bündnispartner genutzt werden“ – demnach auch solcher NATO-Staaten, die Menschen- und Völkerrecht systematisch verletzen. Weiter heißt es im Gesetzestext: „Eine Beschränkung der Forschung“ auf rein zivile Nutzung, wie sie so genannte Zivilklauseln regeln, „ist unzulässig“ – und damit also gesetzlich verboten. Denn, so die Gesetzesbegründung: Zivilklauseln seien „angesichts der bestehenden sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht hinnehmbar“. Schließlich müsse das Forschungs- und Wissenschaftspotential der Hochschulen „auch zugunsten militärischer Forschung und Entwicklung“ gesichert werden. Dazu gehöre auch, „Kooperationen oder Drittmittelprojekte mit Rüstungsunternehmen oder Armeen“ einzugehen und durchzuführen.
Zivilklauseln „nicht mehr zeitgemäß“
„Zivilklauseln“ sind bekanntlich freiwillige Selbstverpflichtungen wissenschaftlicher Forschungseinrichtungen, ausschließlich für rein zivile und friedliche Zwecke zu forschen. Die grundgesetzlich verankerte Freiheit von Lehre und Forschung lässt eine solche freiwillige Beschränkung zu. Letztlich entstammt die zugrunde liegende Idee der Friedensbewegung der 1980er Jahre. Damit sollte eine Politik der Abrüstung und Entspannung befördert werden, voll im Einklang mit dem „Friedensgebot“ des Grundgesetzes. Die erste Zivilklausel trat 1986 an der Universität Bremen in Kraft. Heute haben sie etwa 70 bundesdeutsche Universitäten und Hochschulen eingeführt, teilweise sind sie auch in Hochschulgesetzen verankert. In Bayern gab es jedoch bislang keine Zivilklauseln, doch sie sind nun für die Zukunft kategorisch verboten. Und auch bundesweit fordern CDU und FDP, alle Einschränkungen zu Lasten militärischer Forschung aufzuheben beziehungsweise Zivilklauseln aus Hochschulgesetzen und Statuten zu streichen; denn sie seien nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen also: ungehinderter Bundeswehrzugang zu Hochschulen und Forschung.
Zurück zum bayerischen Bundeswehrfördergesetz von 2024. Auch alle staatlichen Schulen in Bayern sind davon betroffen: Sie sollen künftig „im Rahmen der politischen Bildung“ und zu „Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ enger mit „Jugendoffizieren“ und auch „Karriereberatern der Bundeswehr“ zusammenarbeiten; letztere im Rahmen schulischer Veranstaltungen auch zur „beruflichen Orientierung über Berufs- und Einsatzmöglichkeiten“ bei der Bundeswehr.
Protest von GEW und Friedensbewegung
Früher konnten Schulen und Lehrkräfte prinzipiell eigenverantwortlich entscheiden, ob und wie sie die Bundeswehr in den Sozialkundeunterricht einbinden. Seit 2008 sind Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und etlichen Bildungsministerien der Bundesländer geschlossen worden, die solche Bundeswehr-Besuche in Schulen verbindlich regeln. Unter Protest der Gewerkschaft Bildung und Wissenschaft (GEW), die den damit verbundenen zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts und der Lehreraus- und Fortbildung kritisiert. Politische Bildung gehöre „in die Hand der dafür ausgebildeten zivilen pädagogischen Fachleute“ und nicht in die von Jugendoffizieren. Schließlich gelte für Schulen das Gebot der Neutralität. Auch die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK) sowie die Deutsche Sektion der „Internationalen Ärztinnen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärztinnen in sozialer Verantwortung e.V.“ (IPPNW) halten die Öffnung des Schulunterrichts für Programme der Bundeswehr für unvereinbar mit einer Erziehung zu Frieden, gewaltfreier Konfliktlösung und Völkerverständigung.
Laut einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages („Bundeswehr im Schulunterricht“, WD 3-09/10, 2010) sollen Informationen durch und über die Bundeswehr im Pflichtteil des Schulunterrichts verfassungsrechtlich zwar grundsätzlich zulässig sein, weil „die Streitkräfte Teil des Staates und verfassungsrechtlich verankert sind“. Jugendoffiziere dürften jedoch nur auf Einladung der Schulen am Unterricht mitwirken und die Leitung der Informationsveranstaltungen müsse bei den jeweiligen Schulen verbleiben. Je umstrittener die Inhalte in der Öffentlichkeit seien, desto eher müsse die Schule auf Ausgewogenheit achten und Gegenpositionen einbinden, wie etwa durch Vertreter oder Organisationen der Friedensbewegung (was zumeist jedoch nicht passiert). Wegen der Verpflichtung zu Neutralität und Toleranz dürfe es eine gezielte Beeinflussung der Schülerinnen und Schüler in eine bestimmte Richtung nicht geben (Indoktrinierungsverbot). Und ein Werbeeffekt für den Militärdienst, also den Dienst an der Waffe, muss von vornherein verhindert werden – obwohl mit dem schulischen Einsatz von Jugendoffizieren der Bundeswehr ein solcher Effekt verbunden sein kann oder gar bezweckt wird.
Mit dem bayerischen Bundeswehrförderungsgesetz werden solche begrenzenden Vorgaben praktisch obsolet, wird die Kooperation von bayerischen Schulen mit der Bundeswehr letztlich zur Pflicht. Dies kann die Gewissensfreiheit von Schülerinnen und Schülern beeinträchtigen, wenn sie auf diese Weise einseitig von militärischen Interessenvertretern beeinflusst werden können.
Immer mehr Kindersoldaten in der BRD
Diese gesetzlichen Kooperationsgebote und -pflichten befördern und verstärken, neben der damit verbundenen mentalen Militarisierung, womöglich noch einen weiteren bedenklichen Trend: Die Bundeswehr hat bereits in den letzten fünf Jahren bundesweit fast 8.000 minderjährige Jungen und Mädchen – seit 2011 waren es fast 20.000 Siebzehnjährige – als Soldatinnen und Soldaten rekrutiert und an Waffen ausgebildet (mit dem nötigen Einverständnis der Erziehungsberechtigten). Und dies mit zuletzt steigender Tendenz: allein 2023 waren es knapp 2.000, ein Rekordwert (taz, 26. Juli 2024). In Bayern sind fast 14 Prozent der Rekrutierten derartige Kindersoldaten. Und dies, obwohl der UN-Kinderrechtsausschuss ein Rekrutierungsalter von über 18 Jahren fordert, also Volljährigkeit, um die Rekrutierung von Kindersoldaten auszuschließen.

Dementsprechend hat der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes mehrfach an die Bundesregierungen appelliert (2008, 2014, 2022). Doch eine Umkehr ist bislang nicht in Sicht – im Gegenteil. Und so werden wohl auch weiterhin Minderjährige, die sich durch Technik und Waffen, durch klare Ordnung, Kameradschaft und Abenteuer anfixen lassen, frühzeitig „kriegstüchtig“ gemacht (vgl. dazu: Terre-des-hommes-Appell vom 2.Mai 2024 an Verteidigungsminister Boris Pistorius: „Unter 18 nie!“).
Zum Sinn und Zweck des Bundeswehrfördergesetzes heißt es in der Gesetzesbegründung: „Aufgabe des Staates“ sei es, „unsere Gesellschaft auf die grundlegend veränderte sicherheitspolitische Lage vorzubereiten“, die Auswirkungen auf fast alle Lebensbereiche habe. Auch der Staat müsse „im Rahmen seiner (Regelungs-)Kompetenzen dazu beitragen, die Bundeswehr zu stärken … sowie den Rückhalt in der Bevölkerung für unsere Soldat*innen zu festigen“.
Bayern liefert Blaupause für die Republik
Dies ist jedoch keine bayerische Spezialität, sondern passt zum bundesweit staatlichen Bemühen, die Bundeswehr umfassend gesellschaftsfähig und uns alle „kriegstüchtig“ zu machen. Und tatsächlich gibt es längst Pläne des Bundesbildungsministeriums (BMBF), das Militär bundesweit in Schulen noch intensiver als bisher schon informieren und auch werben zu lassen, um „ein unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ zu entwickeln und Schüler „auf den Kriegsfall vorzubereiten“. Und Hochschulen sollen nicht nur in Bayern, sondern bundesweit künftig stärker für Militär- und Rüstungsforschung geöffnet und dienstbar gemacht werden (so ein BMBF-Positionspapier vom März 2024). Bayern bildet mit seinem Bundeswehrfördergesetz also nur die Vorhut, womöglich als Blaupause für viele Bundesländer und die ganze Republik.
Popularklage mit Aussicht auf Erfolg
Und recht bald wird sich zeigen, ob der Bund und welche Bundesländer diesem schlechten Beispiel folgen werden. Angesichts der fortschreitenden Entwicklung innerer Militarisierung und damit verbundenen Gefahren für die Gesellschaft ist es mehr als angemessen, dass sich hiergegen organisierter Widerspruch von Seiten einer breiten zivilgesellschaftlichen Allianz aus Gewerkschaften, Friedensbewegung und Bürgerinitiativen regt: Und so klagen seit Februar 2025 etwa die GEW, DFG-VK, Schul- und Hochschul-Angehörige und fast 200 Personen des öffentlichen Lebens unter Federführung der GEW im Rahmen einer Popularklage gegen das Militärfördergesetz vor dem bayerischen Verfassungsgerichtshof. Zu den Klägerinnen und Klägern gehören unter anderem die Theologin Margot Käßmann, der Politikwissenschaftler Werner Ruf und der Liedermacher Konstantin Wecker.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte dieses Gesetz unverhältnismäßig und verfassungswidrig in Wissenschafts-, Lehr- und Forschungsfreiheit sowie in die Autonomie bayerischer Hochschulen eingreifen sowie die Militarisierung von Schulen und Wissenschaft, von Lehre und Forschung befördern. Und es dürfte gegen Neutralitätsgebot, Indoktrinierungsverbot und Gewissensfreiheit an Schulen verstoßen. Deshalb dürfte die Klage erfolgversprechend sein.
Dr. Rolf Gössner ist Publizist und Jurist, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte sowie Mitherausgeber des jährlichen „Grundrechte-Report. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“ und der Zweiwochenschrift „Ossietzky“. Gössner ist Mitkläger an der Popularklage gegen das Bundeswehrfördergesetz.
Dieser Text ist die aktualisierte Fassung eines Beitrags von Rolf Gössner, der zuerst in der Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft „Ossietzky“ (Nr. 17/2024) erschienen ist. Den Ursprungstext gibt es hier.