In Abhandlungen über den großen deutschen Bauernkrieg, dieser im Ergebnis der Reformation ausbrechenden frühbürgerlichen Revolution, wird oft die in Tirol kaum erwähnt. Dabei hatten dort „die reformierten Lehren großen Anhang gefunden; hier waren sogar, noch mehr als in den übrigen östereichischen Alpenländern, Müntzersche Emissäre mit Erfolg tätig gewesen“, schrieb Friedrich Engels in „Der deutsche Bauernkrieg“ (MEW, Bd. 7). Aber ihre Saat ging zu spät auf. Damit bestätigten die österreichischen Aufstände noch einmal die Tragik der zersplittert kämpfenden Bauern als eine wesentliche Ursache ihres Misserfolgs. Die gegen die vereinten Söldnerheere kämpfenden deutschen Bauern gingen bereits ihrer Niederlage entgegen, als ihre Brüder in Tirol gegen ihre Unterdrücker losschlugen. Zwei Tage vor der entscheidenden Niederlage der mitteldeutschen Bewegung bei Frankenhausen wählten die Bauernhauptleute am 13. Mai 1525 den 35-jährigen Michael Gaismair zu ihrem Obristen.
Der Obrist der Tiroler Bauern
Gaismair stammte aus einer begüterten Bergbauunternehmer- und Beamtenfamilie. Als Schreiber des Tiroler Landeshauptmanns und Burggrafen von Vols als auch Sekretär des Brixener Bischofs lernte er die brutale Unterdrückung des Volkes kennen, hatte aber auch Gelegenheit, sich mit den Lehren der großen Reformatoren vertraut zu machen. Von ihnen beeinflussten Thomas Müntzer und Huldrych Zwingli sein weiteres Handeln und ließen ihn neben ihnen zu einem der hervorragendsten Vertreter des radikalen Flügels der frühbürgerlichen Revolutionen in Europa werden.
Im Gegensatz zu Deutschland hatten Bauern und städtische Honoratioren bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Tirol sogenannte Landesstände durchgesetzt, in denen sie neben Prälaten und Rittern vertreten waren. Die Macht der Grundherren über die bäuerliche Bevölkerung war durch die Landstände zugunsten der Beamten der Gerichte, wie die unterste Verwaltungseinheit hieß, in gewissem Umfang beschnitten. Nun forderten die Bergknappen im Bündnis mit den Bauern weitere Rechte und Freiheiten. Sie marschierten nach Innsbruck und verlangten die Aufhebung der Kontrolle der Bergwerke durch die Augsburger Fugger, Mitsprache bei der Direktion der Betriebe und an der Landesregierung. Die Volkserhebung dehnte sich rasch auf die Gebiete Brixen, Bozen, Sterzing, Ghries und Hall aus.
In dieser Situation wurde am 12. Juni 1525 der Innsbrucker Landtag eröffnet. Auf ihm waren auch die Nachbarn vertreten, neben dem Schwäbischen Bund Bayern, Graubünden, Venedig, Mailand, Bourbon, Neapel und der Kaiser. 200 Vertreter der Bauern – in ihrem Schlepptau die Städte – verlangten nicht nur, die Geistlichkeit auszuschließen, sondern sogar die Bergknappen zum Landtag zuzulassen. Der Adel – ein in ganz Deutschland beispielloser Fall – war so eingeschüchtert, dass er sich vielfach den Forderungen der Bauern anschloss. Das Bistum Brixen und der Deutsche Orden wurden säkularisiert. Die Gemeinden erhielten das Recht, den Pfarrer der Landesregierung vorzuschlagen. Das römische Recht wurde eingeschränkt, Fischfang und Jagd für frei erklärt, die Abgaben der Bauern herabgesetzt.
Inzwischen aber hatte der Schwäbische Bund die letzten Ausläufer der Erhebung im Allgäu zerschlagen. Die Siege des Truchsess stärkten die Position Habsburgs. Erzherzog Ferdinand konnte nun über die Heeresmacht des Bundes verfügen. Vor allem aber diktierte Georg von Waldburg das weitere Vorgehen und verhinderte die Annahme einer neuen Landesverfassung, die einen radikalen Umbau der Verwaltung, die Beseitigung der Vorherrschaft des Herrenstandes, die Wahl der Richter und Beamten und die restlose Übereignung des Bodens an die Bauern enthalten sollte. Nicht genug damit, lockte der Erzherzog im August 1525 Gaismair nach Innsbruck und ließ ihn in den Kerker werfen. Die von Gaismair friedlich angestrebten Reformen waren gescheitert.
Gaismairs Tiroler Landesordnung
Gaismair gelang es, aus dem Kerker zu entkommen und nach Zürich zu fliehen, wo er von Zwingli Anregungen für seine reformatorische Programmschrift, die „Tiroler Landesordnung“ erhielt, die er anschließend in Klosters in Graubünden ausarbeitete. Darin entwarf er das Zukunftsbild einer von Unterdrückung befreiten, auf Gottes Wort gegründeten freien Republik der Bauern und Bergknappen. Der erste Artikel verlangte die Ausrottung aller Gottlosen, die das ewige Wort verfolgen, den gemeinen armen Mann beschweren und den gemeinsamen Nutzen verhindern.
Engels: „… eine Reihe brillanter Gefechte“
Im April 1526 erhoben sich die Bauern, um Gaismairs Landesordnung durchzusetzen. Am 20. April 1526 kam es am Lueg-Pass zu einer der bedeutendsten Schlachten im deutschen Bauernkrieg. Zwischen Golling und Werften überfiel Michael Gaismair mit seinem Haufen das vier bis fünftausend Mann zu Fuß und beritten zählende erzbischöfliche Heer in der Nacht so überraschend, dass es furchtbare Verluste erlitt und nur knapp der Vernichtung entkam. Es verlor alle seine Stellungen, darunter den strategisch wichtigen Lueg-Pass. In einer glänzenden Kampagne lieferte Gaismair anschließend den von verschiedenen Seiten heranziehenden Bayern, Österreichern, schwäbischen Bundestruppen und erzbischöflichen Landsknechten bei Golling, Kitzbühel, Kirchberg und Mauterndorf eine „Reihe brillanter Gefechte“ (Engels). Bei Kitzbühel kam es gar mehrfach zu siegreichen Treffen für die Aufständischen, die geschickt ihre Ortskenntnisse im Gebirgsterrain zu nutzen wussten. Bei Kuchel an der Salzach führte Gaismair am 14. Juni den Angriff gegen acht beste Fähnlein des Schwäbischen Bundes selbst an und errang einen glänzenden Sieg.
Mit seinem Haufen verfolgte er die fliehenden Kriegsknechte bis vor Salzburg. Drei Tage später erlitt das Bundesheer schwere Verluste, als es vergeblich versuchte, den Lueg-Pass zurückzuerobern. Die Haufen von Rauris, Pongau und Gastein stürmten und verbrannten die Alpenschlösser Mittersill, Kaprun, Fischhorn, Taxenbach, Lichtenberg, Engelberg und Ittern. Um Radstatt hatte Gaismair einen festen Belagerungsring geschlossen. Mehrere Angriffe misslangen jedoch, da es an Belagerungsgeschütz fehlte.
Der Versuch, die Tiroler Landesordnung im Salzburgischen Aufstand 1526 durchzusetzen, scheiterte jedoch. Angesichts ausbleibender auswärtiger Hilfe brach Gaismair vor den in erdrückender Übermacht anrückenden Kriegsobersten mit Zustimmung seiner Hauptleute den Aufstand ab. Der Versuch, ihn zur Verzweiflungsschlacht zu stellen und zu vernichten, schlug fehl. Noch einmal bewies Gaismair, dass er „ein Müntzerscher war“, wie Engels einschätzte, „das einzige bedeutende militärische Talent unter sämtlichen Bauernchefs“. Es gelang diesem talentierten Heerführer aus dem Volk, der Niederlage zu entgehen und die bei ihm verbliebenen Bauernhaufen in einem in der Geschichte beispiellos dastehenden Rückzugsmarsch aus der feindlichen Umzinglung über die Alpen nach Venedig zu führen.
Die Stadtrepublik empfing den legendären Bauernführer mit großen Ehren. Sie übernahm seine Truppen und stellte ihm und seinen Hauptleuten einen Palast als Quartier zur Verfügung. Der Schweizer Kanton Zürich verlieh ihm das Bürgerrecht. Die Habsburger versuchten vergeblich, gegen hohe Entschädigungssummen seine Auslieferung zu erreichen. Schließlich setzten sie ein Kopfgeld aus, für das zwei spanische Söldlinge Gaismair 1532 in Padua hinterrücks erstachen.