Ende Juni hatte Gregor Gysi gegenüber dem „Stern“ erklärt: Nach der Bundestagswahl öffne sich ein historisches Fenster für Rot-Rot-Grün. „Wenn wir diese Chance nicht nutzen, dann ist das rot-rot-grüne Projekt auf Jahre tot.“ Und zwei Monate später kokettierte er in einem Interview mit der „Allgemeinen Zeitung“ erneut mit der Möglichkeit einer solchen Koalition.
Nun, kurz vor der Klausurtagung der Bundestagsfraktion am Mittwoch und Donnerstag in Hannover, gab es Widerspruch. Nicht von der Parteilinken, die schon lange vor solchen Plänen und – wie die Kommunistische Plattform – davor warnen, damit das in Erfurt beschlossene Parteiprogramm mit seinen gesellschaftspolitischen Positionen, mit der klaren Haltung in der Friedensfrage und die Partei in Frage zu stellen. Nein, Michael Brie, der wie Dieter Klein immer die strategischen Debatten in der Partei mitbestimmte und in mehreren Programmkommissionen mitgearbeitet hat, ist da „unverdächtig“. Er meldete sich im „Neuen Deutschland“ zu Wort. Bereits Mitte Dezember vergangenen Jahres hatte er sich in der „Frankfurter Allgemeinen“ gegen das Projekt einer „Mitte-Links-Regierung“ gewandt. Noch im Oktober zuvor hatte er allerdings im „ND“ gemeint, es sei zu prüfen „ob eine wirklich linke Regierung tatsächlich unmöglich ist“.
Diese Prüfung ist anscheinend erfolgt. Oder geht es eher darum, jetzt die Gemüter in der Partei zu beschwichtigen? Im „ND“ erschien am 18. August jedenfalls ein Beitrag von Brie unter der Überschrift „Für eine Politik des ‚Dritten Pols’“. Der Autor setzt darin – scheinbar – auf Opposition, denn die Möglichkeiten für einen Politikwechsel im Land seien derzeit nicht gegeben. Viel wahrscheinlicher sei, dass entweder die jetzige Politik mit Modifikationen (grüner und sozialer oder schwärzer und autoritärer) fortgeführt werde oder die anhaltenden sozialen und kulturellen Spannungen, ausbleibende wirtschaftliche Erholung in der EU und starke außenpolitische Krisen nicht nur „zur verstärkten Formierung nicht nur von rechten, sondern auch von linken Gegenbewegungen“ führt. „Die gesellschaftliche wie politische Linke muss sich auf einen solchen Bruch vorbereiten.“
Soweit, so gut? Doch es sei zudem nicht anzunehmen, dass die Partei „Die Linke“ „unter den gegebenen Bedingungen in einer Bundesregierung viel mehr erreichen würde als aus der Opposition.“ Die Erfahrungen der Beteiligung an Regierungen auf Landesebene unter Bedingungen, wo die Partei nicht den Ministerpräsidenten stelle, wiesen darauf hin, „dass der Anpassungs- und Konformitätsdruck hoch ist. Die Fähigkeit, aus einer Regierungsbeteiligung heraus zugleich Repräsentant eines Richtungswechsels sein zu können, ist meines Erachtens aktuell nicht vorhanden“. Hier ist auffällig, dass Brie Thüringen und den Ministerpräsidenten, den die Linkspartei dort stellt, explizit ausnimmt. Also Ramelow, der im Zusammenhang mit der Friedensfrage und der NATO-Mitgliedschaft des Landes eine Position vertritt, die die Mehrheit der Partei nicht teilt?
Brie weiter: Um Kräfte zu sammeln, müsse man auf ein „Mitte-unten-Bündnis“, auf den „Dritten Pol“ bzw. ein „Lager der Solidarität“ orientieren. In seiner Aufzählung fehlen dann die Friedens- und die antifaschistische Bewegung. Es fehlen auch die Gewerkschaften. Um welches Bündnis geht es also?
Brie fordert dann von seiner Partei eine Doppelstrategie: „Wirksame Opposition und Unterstützung der Herausbildung eines selbstbewussten und handlungsfähigen Lagers der Gerechtigkeit, Solidarität und des sozialökologischen Umbaus.“ Auch das klingt gut. Doch auch hier fehlt die Orientierung auf Frieden und Antifaschismus. Zum Schluss fordert Brie im Bundestagswahlkampf 2017 ein Programm für eine linke Regierung. Also doch keine (linke) Opposition?