Schwarz-rotes Regierungsprogramm stellt Weichen zur Kriegstüchtigkeit

Merz macht mobil

Das ging schneller als gedacht. Keine fünf Tage nach der Vorstellung des Koalitionsvertrags von SPD, CDU und CSU räumte der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in der „Bild am Sonntag“ mit den ersten Versprechen auf. Ein Mindestlohn von 15 Euro? „Das haben wir so nicht verabredet.“ Die groß angekündigte Steuerentlastung für Beschäftigte? „Nein, die ist nicht fix.“ Und die Sorge, dass Bürgerinnen und Bürger am Ende der schwarz-roten Regierung weniger Geld in der Tasche haben? „Die Befürchtung ist aus heutiger Sicht sicherlich nicht unberechtigt.“

Neu ist das alles nicht. Wer den Koalitionsvertrag gelesen hat, weiß, dass es keine festen Verabredungen zum Mindestlohn gibt und dass alle Maßnahmen unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Doch weder SPD-Chef Lars Klingbeil noch die Mehrheit der deutschen Medien hatten bislang ein größeres Inte­resse am Wortlaut gezeigt. Kein Wunder: Die SPD-Mitglieder müssen dem Vertrag erst noch zustimmen.

Möglicherweise ging es Merz mit seiner Ehrlichkeitsoffensive darum, sein angegriffenes Image als konservativer Hardliner zu retten. Immerhin halten 68 Prozent der Bürgerinnen und Bürger seinen mit neuen politischen Bedingungen begründeten Kurswechsel bei der Schuldenbremse für nicht glaubwürdig, wie der „ARD-DeutschlandTrend“ ermittelte. Das zweite Ziel dürfte sein, den Streit um Brotkrumen in den Vordergrund zu rücken, um die zentralen Weichenstellungen auf dem Weg zur Kriegstüchtigkeit aus dem Fokus zu nehmen.

Neben dem „zunächst freiwilligen“ Wehrdienst und den unvorstellbaren Summen für die Hochrüstung geht es im Koalitionsvertrag auch um die Beseitigung von demokratischen Hürden. So wollen Union und SPD für die Bundeswehr „das Verfahren der Parlamentsbeteiligung in Beschaffungsfragen beschleunigen“. Dafür soll der Schwellenwert, ab dem der Bundestag befragt wird, erhöht werden. Oder andersherum: Am schnellsten geht es, wenn das Parlament nicht mitentscheidet. „Gremium der gemeinsamen politischen Willensbildung“ soll künftig ohnehin ein „Nationaler Sicherheitsrat“ sein. Hinzu kommen ein „Nationaler Krisenstab“ und ein „Nationales Lagezentrum“.

Doch nicht nur Parlament und Regierungsstrukturen werden auf Kriegstüchtigkeit getrimmt. Die Militarisierung soll sich durch die gesamte Gesellschaft ziehen. Die „Umrüstung und Ertüchtigung vorhandener Werke für die Bedarfe der Verteidigungsindustrie“ soll unterstützt, Häfen und Flughäfen zur militärischen Nutzung herangezogen werden. An den Universitäten sollen „Hemmnisse, die beispielsweise Dual-Use-Forschung oder auch zivil-militärische Forschungskooperationen erschweren, abgebaut werden“. Zugleich hagelt es Lippenbekenntnisse zur „Wissenschaftsfreiheit“ und dazu, dass Deutschland ein „Leuchtturm für freie Kunst und Kultur in der Welt sein“ soll. Aber Obacht: „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“

Für das Ausland gelten andere Regeln. Schließlich sehen SPD und Union in der auswärtigen Kulturpolitik ein „wichtiges Element der Soft Power Deutschlands und damit ein strategisches Instrument im globalen Wettbewerb um Ansehen, Einfluss, Narrative, Ideen und Werte“. Die „strategische Auslandskommunikation“ soll deshalb „als geopolitisches Instrument noch wirkungsvoller an unseren Werten und Inte­ressen ausgerichtet“ werden. Von Wahrheit oder Tatsachenbehauptungen wird in diesem Zusammenhang lieber geschwiegen.

Die gesamtgesellschaftliche Mobilmachung nimmt keine Rücksicht – auch nicht auf die Grundrechte oder Privatsphäre der Bürger. Im Handstreich verkündet der Koalitionsvertrag die Ausweitung der Kommunikationsüberwachung und die Einführung der höchst umstrittenen Vorratsdatenspeicherung. Biometrische Daten sollen im Internet abgeglichen werden können und automatisierte Kennzeichenlesesysteme zum Einsatz kommen. Wie schon im Wahlkampf gefordert, soll eine „frühzeitige Erkennung entsprechender Risikopotenziale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten“ sichergestellt werden. Dafür soll es ein „integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement“ geben – in einfachen Worten: Die Daten psychisch kranker Menschen werden ausgetauscht, um sie zu überwachen.

Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Von Einschränkungen der Meinungsfreiheit über die verschärfte Beobachtung von vermeintlich „verfassungsfeindlichen“ Vereinen bis hin zu einer Asylpolitik, mit der die AfD von rechts angegriffen werden soll. Es bleibt abzuwarten, wie die SPD-Mitglieder – von denen in den vergangenen Monaten viele gegen die Migrationspolitik von CDU und AfD demonstriert haben – sich selbst dieses Gesamtpaket verkaufen. Dass es ihnen gelingt, ist allerdings zu befürchten.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Merz macht mobil", UZ vom 18. April 2025



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Baum.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit