Merkels Handelsreise nach China

Kolumne von Beate Landefeld

Am 6./7. September besuchte Kanzlerin Merkel mit großem Wirtschaftsgefolge zum zwölften Mal in 14 Jahren Amtszeit die VR China. Den ersten Besuch einer westlichen Staatschefin nach Ausbruch der Hongkong-Unruhen begleitete eine Kampagne in Politik und Medien, die Merkel nahelegte, die sogenannte „Hongkonger Demokratiebewegung“ zu unterstützen. Deren Anführer Wong schrieb einen Brief an Merkel.

Die chinesische Zeitung ‚Global Times‘ urteilte am Tag vor dem Besuch, Merkels Einstellung zu China habe sich seit ihrem Amtsantritt 2005 von „frostig“ zu „pragmatisch“ gewandelt. Nicht nur in den deutsch-chinesischen Beziehungen, auch bei der Lösung globaler Probleme sei es zu Kooperationen auf vielen Gebieten gekommen. Den Aufstieg Chinas interpretierten nun bestimmte Kräfte in Deutschland und Europa mittels der Theorie einer sogenannten „chinesischen Bedrohung“, der man mit festeren Bindungen an die USA und den Westen begegnen müsse. Das erschwere Merkel die Beibehaltung ihres Kurses einer pragmatischen Kooperation.

Vor der Presse in Peking wiederholte Merkel ihr schon in Berlin gemachtes Statement für eine gewaltfreie Konfliktlösung in Hongkong, den Dialog und die Einhaltung der Rechte der Bürger. Chinas Ministerpräsident Li Keqiang erklärte das Interesse Chinas an der Beibehaltung des Prinzips „Ein Land, zwei Systeme“. Die Zentralregierung unterstütze das Bemühen der Regierung Hongkongs, den Konflikt auf gesetzlicher Grundlage zu beenden. Merkel wurde vom Generalsekretär der KP Chinas Xi Jinping empfangen. Er soll sie angehalten haben, Chinas Marktöffnung durch eine deutsche Öffnungspolitik für chinesische Investitionen zu erwidern.

Der Handelskonflikt zwischen China und den USA schadet der deutschen Wirtschaft, die zurzeit langsam in die Rezession abrutscht. Der Streit zwischen der EU und den USA blieb ungelöst – ein Hintergrund, vor dem die Kooperation zwischen Deutschland und China – der viert- und der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt – Entlastung bietet. Der Besuch diente dem Abschluss von entsprechenden Abkommen.

Am zweiten Tag des Besuchs hielt Merkel in Wuhan eine Rede vor Studenten. Die Rede enthielt Belehrungen und Propaganda für die „offene Gesellschaft“. Medien zufolge mahnte sie einen „bedeutenden Beitrag Chinas“ zum Klimaschutz an und pries Deutschlands geplante Klimaneutralität ab 2050. Dass Deutschland die Klimaziele von Paris wahrscheinlich verfehlt, während China sie einhält, blieb in den Medien unerwähnt. Umso breiteren Raum erhielt das Thema Social Scoring (= Sozialkreditsystem). Dreist erzählte Merkel den Studenten, in Europa gebe es die „Datensouveränität des Bürgers“. Wurde Merkels Handy nicht vom US-Geheimdienst überwacht? Sammeln und verwerten nicht private Internetkonzerne unsere Daten? Welche Rolle spielen Geld und Besitz für den Sozialkredit der Bürger in EU und USA?

Abweichend vom Protokoll hielt Merkels Auto auf einer Brücke über dem Jangtse. Die 65-jährige Merkel stieg aus, ging ans Geländer und sah nach der Stelle, an der 1966 Mao Tse-tung mit 73 Jahren den (heute stark verschmutzten) Jangtse durchschwamm (vgl. Robin Alexander in der „Welt“ vom 7. 9.). Die Episode ruft wach, dass auch Merkel bald Geschichte sein wird. Ein Autor der ‚Global Times‘ stellt Betrachtungen an: „Als Merkel zuerst an die Macht kam, stimmte sie mit der freundlichen China-Politik ihres Vorgängers Gerhard Schröder nicht überein. Dank Sachlichkeit erkannte sie später die Bedeutung der Kooperation beider Länder. Merkels Änderung in der Einstellung beruhte auf der Erkenntnis, dass freundliche Beziehungen zu China für Deutschland, Europa und die Welt nützlich sind. Ihre Erfahrung ist ein wichtiges Vermächtnis für künftige deutsche Führer, die Ideologien überbewerten, pro-USA sind oder Vorurteile gegen China haben“ (GT 5. 9.).

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"Merkels Handelsreise nach China", UZ vom 13. September 2019



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