Für eine ganze Generation sollte der vorletzte Sonntag ein Hochfest der Demokratie sein. Schließlich durften diejenigen, die ihr ganzes bewusstes Leben lang nur Angela Merkel als Kanzlerin kannten, nun an die Wahlurne. Viel haben die Leitmedien darüber spekuliert, wie sich das wohl auswirken würde, auf die Entscheidung von jungen Wählerinnen und Wählern. Wenig wurde auf das Banale hingewiesen: Wer nur Merkel als Kanzlerin kennt, kennt auch nur den Hartz-IV-Zwang als Sozialsystem oder Kriegseinsätze an der Seite der NATO als Mittel der Außenpolitik.
Was aber bleibt also von Merkel im Bewusstsein der jungen Wähler? Ein Blick auf millionenfach abgerufene und verbreitete Botschaften wie die mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ in mehreren Teilen veröffentlichte Reihe des YouTube-Stars Rezo zeigt, dass eher die gebetsmühlenartig propagierte Alternativlosigkeit verfängt. Auch die von Erst- und jungen Wählern häufig gewählte „Satire-Partei“ „Die Partei“ ist sicherlich kein Zeichen für festes Vertrauen in die Mitbestimmungsmöglichkeiten der parlamentarischen Demokratie. Auch der höhere Nichtwähleranteil bei den Unter-30-Jährigen spricht diese Sprache.
Ganz erstaunt tun nun viele, dass die jungen Wähler vor allem liberal gewählt haben und die FDP unter den Erstwählern sogar am besten abgeschnitten hat. Dabei haben die Unter-30-Jährigen schon seit Jahren vor allem die Grünen gewählt, die sich schleichend liberalisiert haben, und dabei ist die FDP erst unter ihrem Vorsitzenden Christian Lindner in letzter Zeit wieder mehr in die Wahrnehmung junger Wählergruppen gekommen. Dieser inszenierte sich im Wahlkampf eben nicht mit Aussagen, nach denen Politik den Experten überlassen sein soll, sondern mit markigen Sprüchen wie „Nie gab es mehr zu tun“. Wenn auch anders gemeint gewesen, ist das eine sehr richtige Feststellung angesichts mangelnder Perspektiven.
Während sich der Wahlkampf medial als Kanzlerrennen zwischen den alten „Volksparteien“ zuspitzte, sind mit FDP und Grünen die zwei Parteien des heutigen Liberalismus, die beide über keinen „Arbeitnehmer“-Flügel verfügen, nun also Königsmacher in den laufenden Koalitionsverhandlungen. Von einer „Zukunftskoalition“ mit den beiden Parteien schwärmt da schon der Wahlsieger Scholz – einer kommenden sozialliberalen Koalition 2.0, der sogenannten „Ampelkoalition“.
Digitales und Umwelt wollen sie anpacken, als seien das Zukunftsvisionen. Vielmehr sind diese Auswirkungen der allgemeinen Krise des Kapitalismus mehr und mehr Hemmschuhe für das deutsche Kapital in der internationalen Konkurrenz und so verkommen diese Zukunftsversprechen zu Werbesprüchen einer gesellschaftlichen Formierung ohne Heilsversprechen. Denn die Herrschenden sind, unabhängig von ihrem Parteibuch, gezwungen, den ökologischen und digitalen Umbau ihres Akkumulationsregimes einzuleiten und müssen auch dabei ihre Herrschaft auf Teile der lohnabhängigen Bevölkerung stützen. Deswegen wird die bloße Nennung offensichtlicher Probleme als Innovation verkauft.
Wenigstens erst mal vorbei zu sein scheint mindestens bei den jungen Wählerinnen und Wählern die Volksparteienerzählung von der Sozialpartnerschaft, welche im Bündnis aus Kapital, Staat und Arbeit das Beste für alle rausholen könne. Nach Jahren der großen Koalition ist es den Werbeleuten der Liberalen ein Leichtes, mit anderen Farben einen Politikwechsel zu propagieren, ohne dabei eigene Inhalte zu setzen. So wird, gerade für diejenigen, die nichts anderes kennen als kapitalistischen Alltag, der faule Zustand des kapitalistischen Systems – der nicht nur in der Lage ist, unsere konkreten Bedürfnisse zu befrieden, sondern uns perspektivisch mit Krieg und Umweltzerstörung die Lebensgrundlage zerstört – als reformierbar verkauft und Mehrheiten für den Umbau von oben organisiert.