Eine Online-Tagung der Marx-Engels-Stiftung befasste sich mit der Revolution der technischen Produktivkräfte

Menschsein bewahren

Am 20. Februar veranstaltete die Marx-Engels-Stiftung eine Online-Konferenz zum Thema „Künstliche Intelligenz, Produktivkraftentwicklung und Gesellschaft“. Etwa 50 Interessenten diskutierten lebhaft die beiden ersten Referate. Das dritte beeindruckte und berührte die Zuhörer derart, dass einmütig auf eine Diskussion verzichtet wurde. Der Berliner Informatiker und Wissenschaftsphilosoph Klaus Fuchs-Kittowski würdigte im Vortrag das Werk des Antifaschisten, marxistischen Philosophen und Kybernetikers Georg Klaus (1912 bis 1974) und zeigte seine Bedeutung für heutige Debatten. Die Teilnehmer hatten offensichtlich den Eindruck, eine Sternstunde an Erkenntnis und Wissensvermittlung erlebt zu haben. Angeregt wurde, Aspekte des Vortrags zum Gegenstand einer eigenen Veranstaltung zu machen.

Zum Auftakt sprach der Informatiker und Autor des Buches „Neue Technik, Neue Wirtschaft, Neue Arbeit?“ (PapyRossa Verlag 2020), Stefan Kühner aus Karlsruhe, über „Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnisse in der 4. Industriellen Revolution“.

Er knüpfte an einen Satz an, den der vietnamesische Premierminister Nguyen Xuan Phuc 2019 beim World Economic Forum in Davos gesagt hatte: „Die 4. Industrielle Revolution ist nicht in erster Linie eine Revolution der Technologie, sondern eine politische Revolution.“ Durch Künstliche Intelligenz (KI) wird, so Kühner, „Kopfarbeit rationalisiert“, das Kapitalverhältnis bleibt erhalten. Schlechte Arbeitsbedingungen sind oft die Regel, etwa für die sogenannten Clickworker, moderne Tagelöhner, die ihre Kopfarbeitskraft über das Internet anbieten. Familiäre und gesellschaftliche Strukturen ändern sich, insofern auch Produktionsverhältnisse – Stichwort „Home-Office“. Es gehe wie stets bei wesentlichen Veränderungen der Produktionsverhältnisse um Verkürzung der Arbeitszeit, die nur durch eine starke Bewegung erreicht werden könne.

Die „digitale Transformation“ finde sich in Tarifverhandlungen und Parteiprogrammen, gaukele Neutralität vor und lenke vom Klassenbezug ab. „Industrie 4.0“ sei ein 2011 auf der Hannover-Messe lancierter Marketingbegriff: ein Synonym für „Automatisierung“, aber inzwischen international verbreitet. Bei „Künstlicher Intelligenz“ (KI) gehe es um „Software auf Basis komplexer Algorithmen“.

Die Frage, ob sich die Entwicklung gestalten lasse, beantworte die IG Metall mit der These, dass dort, wo Jobs verloren gehen, auch neue entstehen. Es gehe, so Kühner, um Flexibilität der Unternehmen, nicht nur um die der Beschäftigten. Nötig seien öffentlicher Druck und mehr internationalistisches Denken und Handeln. Was als „Ende der Globalisierung“ diskutiert werde, resultiere aus ersten Produktionsverschiebungen in „sichere“ Länder. Gleichzeitig würden aus den bisherigen Fabriken in der Dritten Welt Entwicklungsbüros. So arbeiteten allein in Indien Millionen Informatiker für die Industrie anderer Länder.

Die Psychologin und Politikwissenschaftlerin Eva Niemeyer (Köln) befasste sich in ihrem Vortrag über „KI im Mensch-Maschinen-Verhältnis“ zunächst mit dem Inhalt des Begriffs „natürliche Intelligenz“. In Medien schneide sie bei Vergleichen der Leistungsfähigkeit gegenüber KI meist kümmerlich ab. Informationsverarbeitung beginne in der Entwicklung von Organismen sehr früh. Beim Menschen gehe es aber um die Zweck-Mittel-Relation in der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Die dabei produzierte „Werkzeug- und Gerätewelt“ sei ein Segment menschlicher Intelligenz, ebenso wie die Einrichtungen, die der Mensch zur Verwaltung dieser Welt schaffe. In komplexen Gesellschaften mit hoher Arbeitsteilung komme es zu einer doppelten Entfremdung: Das Ganze werde nicht erfasst, der Einzelne nicht gebraucht. Die Klassengesellschaft verschärfe dies durch den ihr innewohnenden Antagonismus. Eine wesentliche Herausforderung sei die Wiederherstellung des Gesamtzusammenhangs im Bewusstsein. Komplexe Zusammenhänge müssten durchschaubar gemacht werden.

KI könne „Evolution simulieren“. Ethik, Achtung der Menschenwürde habe aber nichts mit Rechenregeln oder Algorithmen zu tun. KI werde das nie erfassen.

Diesen Gedanken vertrat auch Klaus Fuchs-Kittowski in seinem Beitrag „Soziotechnische Gestaltung der Arbeitswelt im Zeichen der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz“. Er skizzierte zunächst das Leben von Georg Klaus: Studium der Mathematik, Mitglied des KJVD, von 1933 bis 1939 in Haft, 1950 Philosophieprofessur in Jena, später an der Humboldt-Universität und der Akademie der Wissenschaften. Bleibend, so der Redner, sei das Bekenntnis von Klaus zum konkreten Humanismus. Aus ihm resultiere seine entscheidende These: Die Identifizierung von Mensch und Computer ist abzulehnen. Genauer: Im dialektischen Materialismus ist Bewusstsein ein Produkt der Materie, ein totaler Gegensatz besteht nicht. Insofern hat der Ausdruck KI dort auch einen Platz. Dennoch gelte: Ein Computer mit eigenem Ich bleibt Stoff der Science-Fiction.

Nach Klaus ist der lernende Automat die höchste Stufe technischer Entwicklung, der Mensch aber die einzig kreative Produktivkraft. Neu seien heute Rechengeschwindigkeit und Speicherkapazität im Vergleich zur Zeit von Klaus. Nur der Mensch könne allerdings zu neuen Informationen und zu Werten gelangen. Es komme darauf an, beide Fähigkeiten sinnvoll zu verbinden, um Computersysteme menschengerecht zu gestalten.
Dieser Ansatz werde heute vor allem von nordischen Staaten vertreten. Ohne Mitwirkung starker Gewerkschaften sei er nicht durchsetzbar. Seien sie schwach, ergebe sich das, was in den USA zu sehen sei. Das Menschsein zu bewahren sei das Wichtigste. Klaus habe das selbst in Dachau geschafft.

Audiomitschnitte der drei Referate sind auf der Internetseite der Marx-Engels-Stiftung zu hören: marx-engels-stiftung.de/veranstaltungen. Sie seien hiermit empfohlen.

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"Menschsein bewahren", UZ vom 19. März 2021



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