Zum Niedergang der deutschen Industrie

Menetekel Zwickau

In ihrer letzten Wochenendausgabe druckte die „Berliner Zeitung“ eine zwei Seiten lange Reportage über das VW-Werk in Zwickau. So wie „Schwedt“ für die DDR-Ölindustrie stand, so stand „Zwickau“ für das Wunder, dass dieses kleine sozialistische Land seine eigene Autoindustrie aus dem Boden stampfte. Im dortigen „VEB Sachsenring“ liefen die Trabis vom Band. Es war unverkennbar der Versuch der Gewinnung der Seele ehemaliger DDR-Bürgerinnen und Bürger, als genau dort der größte Automobilkonzern Westdeutschlands (und damals noch der Welt), Volkswagen, 1990 ein Werk errichtete, das in der Spitze mit allen Zulieferern 100.000 Arbeitsplätze bereitstellte. Knapp 20 Jahre später trat die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel vor die Kameras und verkündete stolz, hier, im Herzen der DDR-Autoindustrie, werde die „grüne Zukunft“ beginnen, hier würden jetzt nur noch Elektroautos gebaut, hier würden davon bald 360.000 Stück im Jahr von den Bändern rollen. Sie freue sich „ganz persönlich als jemand, der aus der ehemaligen DDR kommt, dass Zwickau das Flaggschiff des Wandels in der Mobilität ist“, schreibt das Blatt über den damaligen Auftritt.

Das Flaggschiff dümpelt jetzt in der Flaute vor sich hin. Im letzten Jahr waren es nur 240.000 Autos und inzwischen arbeitet das Werk zum ersten Mal seit seiner Gründung nicht mehr im Drei-, sondern nur noch im Zweischichtbetrieb. Rund 1.200 befristet eingestellte Mitarbeiter müssen in diesem und dem nächsten Jahr gehen und in Zwickau geht die Angst vor der Zukunft um. Als Grund benennt das Blatt den hohen Strompreis, die fehlenden Ladesäulen für E-Autos und vor allem den Preis: „Bislang sind deutsche E-Autos deutlich teurer als vergleichbare Verbrenner. Und als E-Autos aus China. Der ID.3, das kleinste E-Auto von VW, fängt bei knapp 37.000 Euro an und ist damit fast 5.000 Euro teurer als sein direkter chinesischer Konkurrent, der BYD Dolphin.“

Zwickau ist nach der deutschen Solarindustrie oder der Lage der Wärmepumpenhersteller ein weiteres Menetekel für den Niedergang der deutschen Industrie. Mit leichten Abweichungen sind die Kerndaten seit über einem Jahrzehnt dieselben: Die Wirtschaftskraft der EU stagniert, die der USA wächst um rund 2,5 Prozent, die Chinas um rund 5 Prozent. Sinkt sie mal leicht, wird eine Rezession in China herbei­fabuliert – bis, wie jetzt, die Daten wieder auf diesen Hauptpfad zurückkehren. In der Minderheit ist hierzulande noch das Lager der Vernunft: Wer will, dass Schwedt, Zwickau oder auch Leverkusen, Thyssen und der Hamburger Hafen wieder florieren, darf sich dem „Wind of Change“ nicht entgegenstellen. Er sollte mit ihm segeln. Er sollte erstens mit günstigem Gas und Öl aus Russland die Energiepreise wieder runterdrücken. Er sollte zweitens mit Anschluss an die Seidenstraße und intensivem Technologieaustausch vom Champion lernen und mit ihm kooperieren, statt Misstrauen gegen seine Wissenschaftler zum Regierungsprogramm zu machen und sich ökonomisch gegen den 1,4-Milliarden-Markt abzuschotten.

Stattdessen sitzt in Berlin weiter das Lager der Unvernunft am Ruder, das mit Sanktionen und Zöllen Konfrontation statt Kooperation forciert. In diesem Lager der Dummheit grassiert zunehmend eine uns alle bedrohende Irrationalität. Die glauben, gemeinsam mit den Irren in Washington die vermeintliche Bedrohung aus dem Osten mit militärischen Mitteln beseitigen zu können. Frieden mit Russland und China – das würde auch Zwickau helfen und allen anderen, deren Arbeitsplätze jetzt durch den Konfrontationskurs bedroht sind.

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"Menetekel Zwickau", UZ vom 23. August 2024



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