Zum 100. Geburtstag von Stanislaw Lem

Meister des Spiels mit Möglichkeiten und Hypothesen

Am 12. September wäre Stanislaw Lem 100 Jahre alt geworden. Am 27. März 2006 ist er in Krakau gestorben – weltberühmt vor allem als Science-Fiction-Autor. Doch Lem sah sich nicht nur als das. Er, der Humanist und Aufklärer, der immer hoch interessiert an neuen wissenschaftlichen Entwicklungen war und sich mit Physik, Biologie, Kybernetik, Informationstechnologien und so weiter beschäftigte, war auch Essayist und Philosoph.

Geboren wurde Stanislaw Herman Lem am 12. September 1921 in Lwiw in der westlichen Ukraine, das damals (1918 bis 1939) zu Polen gehörte. Der Sohn einer polnisch-jüdischen Arztfamilie wuchs in behüteten Verhältnissen auf, studierte in Lwiw von 1940 bis zur Okkupation durch das faschistische Deutschland 1941 Medizin, überlebte – anders als der Großteil seiner Familie – dank gefälschter Papiere, half dem Widerstand. Lem konnte nach der Befreiung weiter studieren, siedelte 1946 nach Krakau über und arbeite nach dem Studium in der Forschung. Schon während der Besatzungszeit hatte er aber auch zu schreiben begonnen. Während dieser Zeit entstand sein Kurzroman „Der Mensch vom Mars“. In der Nachkriegszeit schrieb er zunächst Kurzgeschichten, später auch Theaterstücke. 1948 entstand sein erster Roman „Die Irrungen des Dr. Stefan T.“. Über die Entstehung seiner ersten Werke schrieb Lem 1988 („Irrläufer“, suhrkamp taschenbuch, 1992): „Die Motive der Entstehung literarischer Werke liegen gewöhnlich im Dunkeln und sind nicht unbedingt edel und erhaben (…) Es ist keine vorzügliche Literatur, nicht moralisch geprägt: es handelt sich um Spionagegeschichten mit leicht phantastischem Hintergrund (…) Ich versuchte mich an solchen Texten, ohne die leiseste Ahnung zu haben, dass einer der narrativen Pfade versanden und aus einem anderen auf für mich unerklärliche Weise eine über vierzig Jahre währende schriftstellerische Laufbahn entstehen würde.“ Zu seinen ersten Geschichten, die nach der Befreiung entstanden, gehörte interessanterweise auch die Erzählung „Unser Mann in Hiroshima“ als Reaktion auf eine Reportage John Herseys über Hiroshima und die Folgen der Atombombenabwürfe, die damals im „New Yorker“ erschien – ein Thema, das Lem weiter beschäftigte. 1951 erschien sein utopischer Roman „Die Astronauten“ (dt. „Planet des Todes“, verfilmt durch die DEFA unter dem Titel „Der schweigende Stern“), in dem Lem eindringlich vor dem Missbrauch und den Gefahren der Atomenergie warnte. Bis heute wird das Buch als Warnung und Mahnung verstanden.

In der Folgezeit entstanden zunächst vor allem SF-Romane wie „Oblok Magellana“, 1955 (dt. „Gast im Weltraum“, 1956), der ihn weltberühmt machte. In den folgenden Jahren folgten seine humorvollen „Sterntagebücher“ des Weltraumfahrers Ijon Tichy (1957), 1959 sein Roman „Eden“ und 1961 „Solaris“ (verfilmt 1972 durch den sowjetischen Regisseur Andrei Tarkowski, 2002 durch Steven Soderbergh), 1965 „Der Unbesiegbare“ sowie Ende der 1960er Jahre „pünktlich“ zu den Debatten um das „kybernetische Zeitalter“ seine Erzählungsbände „Kyberiade“ (1 und 2). Bis heute werden aber zudem nicht nur seine Erzählungen über den „Kadetten Pirx“ beziehungsweise den „Piloten Pirx“ gern gelesen, sondern auch Bücher wie „Der futurologische Kongress“ und viele andere.

Während in „Gast im Weltraum“ noch ein „typisches“ Weltraumabenteuer erzählt wird, in dem sich die Raumfahrer von einer sozialistischen, geeinten Erde auf dem Flug zu einem fernen Planeten bewähren müssen, konzentrieren sich „Eden“ und „Solaris“ auf die Fragen „Was ist der Mensch?“ beziehungsweise „Wie können Menschen mit nichtmenschlichem intelligenten Leben umgehen und sich mit ihm verständigen? (oder eben auch nicht)“. In „Eden“ wird die Geschichte einer Gruppe von irdischen Raumfahrern erzählt, die nach dem Absturz ihres Raumschiffes auf dem Planeten Eden einer ihnen zunächst völlig unverständlichen dystopischen Gesellschaft begegnen. In „Solaris“, dem wohl berühmtesten Science-Fiction-Roman des Autors, geht es um die Möglichkeit eines völlig fremden, mit dem menschlichen nicht mehr vergleichbaren Bewusstseins einer Lebensform, die wie ein riesiges Meer aus Plasma einen ganzen Planeten umfasst. In „Der Unbesiegbare“ geht es – unter großen Opfern – um das Verstehen und die Akzeptanz der Ergebnisse einer Evolution von Maschinen, die sich dem Menschen gegenüber völlig gleichgültig verhalten und damit Todesgefahr bringen. Das Thema künftiger technologischer Entwicklung spielte bei Lem aber nicht nur hier, sondern immer wieder eine Rolle. Im Romanen und Erzählungen, aber auch in seinem eher philosophischen Buch „Summa technologiae“ (1964) – in dem er neben Überlegungen zur künftigen Entwicklung der Menschheit vor allem solche über eine mögliche Techno-Evolution anstellte und dabei manche Entwicklungen vorausahnte. Lem erwies sich auch hier als „Meister“ des „Spiels“ mit Möglichkeiten und Hypothesen.

Viele Romane, aber noch mehr Kurzgeschichten und Essays folgten. Aber auch philosophische Arbeiten, wie vor allem die zwei Bände zur „Philosophie des Zufalls“. Bislang wurden seine Bücher und Erzählungsbände in 57 Sprachen übersetzt. Sie erreichten insgesamt eine Auflage von mehr als 45 Millionen.

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"Meister des Spiels mit Möglichkeiten und Hypothesen", UZ vom 17. September 2021



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