„Palästina Solidarität Duisburg“ verboten. Betroffene berichten über schwere Missachtung von Rechten bei Hausdurchsuchungen

Meinungsfreiheit ausgesetzt

Am frühen Donnerstagmorgen der vergangenen Woche ließ NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) die Gruppe „Palästina Solidarität Duisburg“ (PSDU) verbieten. Die Behörde wirft den Aktivistinnen und Aktivisten in gewohnter Manier vor, „antisemitisch“ ausgerichtet zu sein und sich „gegen die Völkerverständigung zu richten“. Dieser Stigmatisierung widerspricht die Gruppe seit ihrer Gründung im vergangenen Jahr ebenso wie dem Vorwurf der angeblichen „Hamas-Unterstützung“. Die PSDU war bereits wiederholt das Ziel von Hetzkampagnen im Sinne des Verbots.

Die Vereinsauflösung ging mit Hausdurchsuchungen an vier Orten in der Stadtmitte und dem Stadtteil Walsum einher. Zwischen sechs und sieben Uhr rückten Polizeieinheiten an und drangen in die betroffenen Wohnungen ein. Beschlagnahmt wurden neben Informationsmaterialien zahlreiche Datenträger wie Laptops, PCs und Handys.

Inzwischen wurde eine Erklärung aus dem Umfeld der vom Verbot Betroffenen auf der Webseite des „Kufiya Netzwerk“ veröffentlicht, dem neben bundesweiten und internationalen Palästina-Solidaritätsgruppen auch DKP und SDAJ angehören. In der Stellungnahme werfen sie den beteiligten Beamten ein „fragwürdiges Verhalten“ während der Razzien vor. So seien die Beamten während einer der stundenlangen Durchsuchungen bei einem palästinensischen Betroffenen in die Wohnung eingedrungen, ohne zuvor zu klingeln. Bei allen Betroffenen seien sämtliche Zimmer durchsucht worden. Dies habe auch die Räume von Eltern, Kleinkindern und Mitbewohnern betroffen.

Bei einer Durchsuchung drangen die Polizisten unter anderem in das Schlafzimmer der Eltern ein, wo sich die teilweise noch unbekleidete Mutter der Betroffenen befand. In einem anderen Fall sei während der Durchsuchung des Schlafzimmers eines betroffenen Ehepaars mehrfach lauthals gelacht worden, während die Beamten deren Privatsachen durchsuchten. Zudem seien sämtliche Beschuldigten nicht über ihr Recht aufgeklärt worden, bei der Durchsuchung anwesend sein zu dürfen. Stattdessen seien sie jeweils gezwungen gewesen, sich unter Bewachung im Wohnzimmer aufzuhalten. Laut Bericht sei einem Betroffenen das Recht, bei jeder Zimmerdurchsuchung zugegen zu sein, aktiv abgesprochen worden.

Äußerst fragwürdig ist auch, was die Aktivisten über die Anwesenheit von Zeugen berichten. Die Polizei brachte demnach zu den verschiedenen Orten als „unabhängige Zeugen“ deklarierte Beamte des Landeskriminalamtes (LKA), des Ordnungsamtes und der Feuerwehr mit. Eigene Zeugen der Betroffenen wurden in mindestens einem Fall direkt untersagt.

Bei mindestens zwei Betroffenen waren bürgerliche Medien direkt vor Ort. Die Art der Berichterstattung lässt teilweise auf die Wohnadressen schließen. Während der Razzien versammelten sich neben vereinzelten „antideutschen“ Provokateuren auch solidarische Aktivistinnen und Aktivisten an den Wohnhäusern, um ihre Unterstützung zu zeigen und gegen das PSDU-Verbot zu demonstrieren.

Die DKP protestierte in einer noch am gleichen Tag veröffentlichten Stellungnahme gegen das staatliche Vorgehen. „Der Staat Israel und seine Armee verüben derzeit einen Völkermord im Gazastreifen. Die deutsche Regierung unterstützt den Genozid politisch und militärisch durch Waffenlieferungen. Der Widerstand dagegen soll zum Schweigen gebracht werden. Hier reiht sich das Verbot der ‚Palästina Solidarität Duisburg’ ein“, heißt es in der gemeinsamen Mitteilung von Partei- und Bezirksvorstand. Wenn es um die „Staatsräson“ gehe, werde das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ausgesetzt. Das Verbot sei ein weiterer Schritt des reaktionär-militaristischen Staatsumbaus und ein massiver Einschüchterungsversuch.

Auch die Solidaritätsorganisation Rote Hilfe fordert ein sofortiges Ende der anhaltenden Grundrechtseinschränkungen und Repressionsmaßnahmen. Dieses neue Verbot reihe sich in eine lange Folge von Kriminalisierungsmaßnahmen gegen Palästina-solidarische Strukturen ein, bei denen die Behörden das ganze Repressionsarsenal einsetzen und neue Verfolgungsformen testen würden. Rote-Hilfe-Sprecherin Anja Sommerfeld verweist auf Demonstrations- und Parolenverbote, den Abbruch des Berliner Palästina-Kongresses, die Streichung von Fördergeldern und die Vorbereitung von Berufs-, Arbeits- und Ausbildungsverboten. Die beiden prominentesten Beispiele seien dabei das Vorhaben der Berliner Hochschulen, Exmatrikulationen aus politischen Gründen wiedereinzuführen, und die Schließung der „Mädchen*einrichtungen Alia und Phantalisa“.

Nach der Polizeiaktion wurde bekannt, dass die Verbotsverfügung bereits auf den 18. März datiert ist. Der Hausdurchsuchungsbefehl wegen einer hinzukommenden Strafanzeige gegen einen der Betroffenen wurde ebenfalls rund einen Monat vorher ausgestellt, was die Darstellung des Innenministers von der angeblich unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch die Gruppe sorgsam geplant aussehen lässt. Die Betroffenen werden laut der Erklärung rechtliche Schritte einleiten, um im Nachhinein gegen die Hausdurchsuchungen sowie gegen die Verbotsverfügung gegen PSDU vorzugehen. Ebenfalls prüfen die Betroffenen rechtliche Schritte gegen die Darstellung durch Politik und Medien als „Antisemiten“, „Hamas-Unterstützer“ und ähnliche Zuschreibungen.

Mindestens einem der Betroffenen war per Verfügung untersagt worden, am darauffolgenden Tag an einer Kundgebung gegen das Verbot teilzunehmen, zu der das lokale Bündnis „Heizung, Brot und Frieden“ in der Innenstadt aufgerufen hatte. Die juristische Auseinandersetzung um eine seit Längerem geplante Solidaritätsdemonstration für Palästina und das von Reul angekündigte Verbot steht noch aus.

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"Meinungsfreiheit ausgesetzt", UZ vom 24. Mai 2024



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