Vom 1. bis 7. August

Meine progressive Woche

Von Adi Reiher

Mittwoch

Ein Unglück kommt selten allein: In Brasilien folgen der Fußballweltmeisterschaft nun die Olympischen Spiele. Für den Olympiapark in Rio de Janeiro soll die Favela Vila Autódromo weichen, wie schon andere Favelas zuvor. Doch Autódromo ist längst kein Elendsviertel mehr. 1 500 Menschen leben hier mitten in der Großstadt in dörflicher Zufriedenheit. Deshalb wehren sie sich gegen Abriss und Umsiedlung inzwischen mit einem eigenen Entwicklungsplan für ihr Stadtviertel, der aus ihrer Sicht auch die Interessen der Olympia-Planer berücksichtigt.

Diese „Interessen“ haben schon manchen ins Elend gestürzt (s. Griechenland), der Kampf dagegen ist trotzdem nicht vergebens – ein herzliches „Até a vitória sempre“ nach Brasilien.

Donnerstag

Til Schweiger zeigt den Mut, es sich mit vielen seiner Fans zu verderben. In der Flüchtlingsdebatte hat er von der Politik gefordert, mehr gegen rechtsradikale Attacken auf Flüchtlingsheime zu unternehmen. Es folgte ein „shitstorm“ auf Schweigers facebook-Seite, den der Schauspieler nicht ganz jugendfrei konterte: „Ihr seid zum Kotzen! Wirklich! Verpisst Euch von meiner Seite, empathieloses Pack! Mir wird schlecht!!!“ Wir werden sehen, ob die Popularität Schweigers Schaden nimmt.

Vorerst ist sie noch so groß, dass einer, der Popularität jeder Art dringend braucht, versucht sich in der von Schweiger zu sonnen. Es ist, wer sonst, Sigmar Gabriel.

Er lud Til zum Plaudern über das Thema in eine Berliner Szene-Kneipe. Der akzeptierte. Danach gab er zu Protokoll, dass der Vizekanzler sich eine halbe Stunde lang seinen Frust angehört habe „dass es in diesem Land … so viel Fremdenfeindlichkeit und blanken Hass gibt.“

Til wäre sicher besser beraten gewesen, den Wirtschaftsminister auf seine Verantwortung für die stark angestiegenen Waffenexporte Deutschlands anzusprechen. Die Entscheidung darüber liegt bei Gabriels Ministerium, außer in strittigen Fällen, dann entscheidet der Bundessicherheitsrat, wo Gabriel praktischerweise Mitglied ist.

Dann wäre man in der Szenekneipe vielleicht auf den einfachen Zusammenhang gestoßen, dass die deutschen Waffenexporte unmittelbare Fluchtursachen sind – als erstes Glied der Kette: Waffenexport – bewaffneter Konflikt – Massenflucht.

Freitag

Auf der norwegischen Insel Utöya findet wieder das traditionelle Sommercamp der sozialdemokratischen Jugend statt – zum ersten Mal nach dem Massaker, bei dem der Faschist Breivik am 22. 7. 2011 69 Teilnehmer des damaligen Camps erschossen hat.

Damit wird das wichtige und richtige Zeichen gesetzt: Bange machen gilt nicht. Wir weichen vor rechter Gewalt nicht zurück. 1 000 Jugendliche haben sich angemeldet. Zu ihnen spricht auch der damalige Ministerpräsident Jens Stoltenberg. Launig berichtet er aus seiner Jugend, als sie auf Utöya „Norwegen, Norwegen, raus aus der Nato“ gesungen hätten. Heute ist Stoltenberg Generalsekretär der Nato. 2013 verlor er seine Regierungsmehrheit an ein Bündnis aus den Konservativen und der sogenannten Fortschrittspartei, die mit der österreichischen FPÖ verglichen wird und zumindest einiges vom Gedankengut des Mörders Breivik vertritt.

Stoltenberg und andere wären gut beraten, sich endlich zu fragen, was die Krise seiner Sozialdemokratie, das Aufkommen der Rechtspopulisten und faschistischer Terror mit seinen schrillen Gesinnungswechseln zu tun haben. Und wohin seine prinzipienlose Politik noch führen kann.

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"Meine progressive Woche", UZ vom 14. August 2015



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