Vom 27. Juni bis 3. Juli

Meine progressive Woche

Von Adi Reiher

Dienstag

22 000 Ja-Sager demonstrieren heute auf dem Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament in Athen. So vermeldet es der TV-Kanal SKAI. Er gehört zu der Gruppe von Privatsendern, die 95 Prozent des Fernsehmarktes beherrschen. Das öffentliche Fernsehen ERT ist erst durch die Regierung Tsipras wieder zum Leben erweckt worden.

Auch ERT berichtet über die Demonstration. Der Beitrag dauert 4:39 min und ist fast genausolang wie der gestrige Bericht (4:50 min) über die 13 000 NeinSager, die am gleichen Ort demonstriert hatten. SKAI hatte geschwiegen. Vier andere Privatsender hatten immerhin 0:40, 1:01, 1:30 und 1:12 min berichtet. Über die Demonstration der Ja-Sager berichtet SKAI heute 7:15 min. Die anderen Privaten widmen der oppositionellen Demo 8:10, 14:30, 7:18 und 5:41 min. Nach Fernseh-Minuten liegt das Regierungslager 13:41 zu 40:18 min zurück. Bei solchen Verhältnissen hätten wir hierzulande womöglich schnell eine Links-Regierung.

Bleibt die Frage, wo kommen so viele Ja-Sager her. Ein Teil von ihnen mit Bussen aus ganz Griechenland; die sind gechartert worden von Firmen wie Nokia, Siemens, Aegean, Hertz, Fuji-Film, Novartis und anderen. In die Busse hineingesetzt haben die Bosse ihre Angestellten – begleitet von Drohungen wie Entlassung oder Lohnkürzung. Der Unternehmer Gregory Farmakis, Mitglied der Nea Demokratia, twitterte: „Ich werde meinen Angestellten verkünden, dass ihre Gehälter heute auf dem Syntagma-Platz (bei der Pro-JA-Kundgebung) gezahlt werden. Nur denjenigen, die dort erscheinen.“ Wie man sieht, gibt es durchaus unterschiedliche Vorstellungen von einer funktionierenden Demokratie. Die Kapital-Variante läuft bekanntlich wie geschmiert.

Donnerstag

Geschmiert wird nicht nur diesseits des Atlantiks, sondern auch am Sitz des Internationalen Währungsfonds (IWF), der wohl nicht zufällig in Washington, D.C. liegt. Das ist da, wo Frau Merkel noch nicht ganz das Sagen hat, obwohl sie nun doch schon soooooooo lang die mächtigste Frau der Welt ist.

Der IWF legt heute – mehr oder weniger unbeachtet von den deutschen Medien – einen hochbrisanten Report über Griechenland vor: „Preliminary draft debt sustainability analysis“ steht über dem Papier, Google übersetzt das mit „Vorentwurf Schuldentragfähigkeitsanalyse“ und drin steht der bemerkenswerte Satz, dass eine Lockerung des umstrittenen und erfolglosen Austeritätskurses für Griechenland auch einen Schuldenschnitt notwendig machen würde. Genau das, was die Regierung Tsipras fordert und was allen voran Schäuble seit Monaten gebetsmühlenartig verweigert.

Und deswegen ist es wohl kein Zufall, dass laut reuters nicht genannte EU-Regierungen versucht haben, die Veröffentlichung zu stoppen (wenn da nicht wieder der Wolfgang allen voran war). Das klappte wohl vor allem deswegen nicht, weil die Damen und Herren von nebenan, Ecke Weißes Haus und Capitol, die sofortige Veröffentlichung verlangten. Dieses Rad dreht sich offensichtlich nicht nur zwischen Korfu und Thessaloniki, Kavala und Kalamata; sondern auch z. B. zwischen Kiew und Washington. Frau Merkel wird aufpassen müssen, dass dieses Rad nicht über ihr schönes Kanzleramt in Berlin geht. Das ist dann zwar immer noch schön (vielleicht sogar schöner), aber nicht mehr ihres.

Freitag

Auf der Griechenland-Solidaritäts-Demo in Köln ist heute wie mit Händen greifbar, dass es nicht um Griechenland und nicht um Europa geht, sondern um den Kampf gegen die Verelendungspolitik, mit der das Kapital Millionen Menschen in Europa (und auf der ganzen Welt) überzieht. Das Bewusstsein der internationalen Solidarität ist stark und gibt Mut. Weiter so.

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"Meine progressive Woche", UZ vom 10. Juli 2015



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