8. bis 14. August

Meine progessive Woche

Von Adi Reiher

Dienstag

Das Bundesamt für Statistik meldet heute, dass 7,7 Prozent (330 000) der Jugendlichen in Deutschland erwerbslos sind. Dass sei die niedrigste Quote in Europa.

Diese Erfolgsmeldung ist irreführend. Hier unvollständig einige Fakten: eine gleich große Zahl der unter 25-Jährigen in Weiterbildung oder Orientierung sind nicht erfaßt. Im Osten ist das Risiko unverändert doppelt so hoch wie im Westen. Der Niedriglohnsektor wächst. Fast ein Viertel der Ausbildungsverträge in Deutschland wird vorzeitig aufgelöst.

Von wegen Erfolgsstory.

Donnerstag

Die Stadtverwaltung von New York City spricht von derzeit 60 000 Obdachlosen in der Stadt. Die Dunkelziffer soll weit höher liegen. Wer von diesen einen Zugang zum Internet hat – die Dunkelziffer dürfte relativ niedrig liegen –, kann seit kurzem Bilder von sich oder seinen Leidensgenossen bei flickr.com betrachten – beim Schlafen unter der Brücke, Urinieren im Central Park oder beim Kramen in der Mülltonne. Nach dem Motto „Peek-A-Boo – We see you“ („Kuckuck – Wir sehen Euch“) fotografieren New Yorker Polizisten ihre verarmten Mitbürger und stellen sie an den weltweiten Internetpranger, nur in ihrer Freizeit versteht sich.

Aufgerufen dazu hat sie der Chef ihrer Gewerkschaft, Ed Mullins. Die Aktion richtet sich gegen den demokratischen Oberbürgermeister de Blasio, der angeblich zuwenig gegen die Obdachlosen im Stadtbild unternimmt. Mullins will anscheiend die Jobs seiner 12 000 Mitglieder (von insgesamt 34 500 New Yorker Polizisten) sichern, indem er ihnen zeitintensive „Säuberungskampagnen“ als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen besorgt.

Der Internetpranger inspiriert Nerds (Computerfreaks) wie David Fox, der eine App zum Verkauf anbietet, mit deren Hilfe alle New Yorker jetzt ihre Fotos von Obdachlosen mit einer Straßenkarte der Stadt verlinken können. So planen Mullins und Fox ein paar Extra-Dollars mit dem Elend anderer zu machen. Indem sie diese beschämen wollen, besudeln sie sich selbst als hartherzige Pharisäer. Gegenüber den Afro-Amerikanern ist landesweit die nächste Stufe anscheinend schon erreicht: „Peek-A-Boo – We shoot you“ („Kuckuck – Wir erschießen euch“).

Freitag

Muchas felicidades, Fidel! Wir grüßen den großen kubanischen Revolutonär zu seinem 89. Geburtstag. Von vielen wird er diese Worte heute gehört haben. Aber sicher nicht von John Kerry, dem US-Außenminister, der als erster seines Amtes seit 1945 heute in Havana war, um die Botschaft am Malecon wiederzueröffnen. Außer Fidel fehlte dabei eine weitere Hauptperson – der neue Botschafter. Widerstand im US-Senat hat bisher eine Ernennung verhindert. Immerhin hisste Kerry auf dem Botschaftsgelände die Flagge seines Landes.

Dabei sagte er: „Das Ziel all dieser Veränderungen ist, den Kubanern zu helfen, sich mit der Welt zu verbinden.“ Diese Welt wird sich an Fidel Castro und die kubanische Revolution noch erinnern, wenn John Kerry längst vergessen ist und das Imperium, dem er dient, in Schutt und Asche liegt. Jeder blamiert sich so gut er kann.

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"Meine progessive Woche", UZ vom 21. August 2015



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