Politiker sollen vor Kritik und vor „psychischer Belastung“ geschützt werden

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Wenn’s mit neuen Gesetzen zum Schutz vor „Desinformation“, „Verächtlichmachung“ und Kriegstüchtigkeitsleugnern schnell gehen muss, schaltet sich der Bundeskanzler auch schon mal selbst ein. Am 27. September schrieb Olaf Scholz (SPD) an die „sehr geehrte Präsidentin“ des Bundestags, Bärbel Bas, um auf die Eilbedürftigkeit der neuen gesetzgeberischen Initiative aus dem Hause von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hinzuweisen. Im vorgelegten Gesetzentwurf geht es um den „Schutz der dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten“, gemeint sind Funktionsträger von der kommunalen Ebene bis hinauf in die Gremien der Europäischen Union. Damit schließt Buschmann an die vor allem von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Gang gesetzte hektische Betriebsamkeit in Sachen Vereinsverbote, Medienverbote, Verfolgung der Palästinasolidarität und Ahndung NATO-kritischer Friedensfreunde durch Einleitung hunderter Strafverfahren wegen „Billigung von Straftaten“ oder „Volksverhetzung“ (Paragrafen 140 und 130 des Strafgesetzbuchs) an.

Im 20-seitigen Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs ist viel von „Tendenzen“ die Rede, die die „Funktionsfähigkeit des Staates und ein gedeihliches Miteinander in der Gesellschaft“ mehr und mehr gefährden. Angelehnt an den Straftatbestand des „Stalking“ (Nachstellung) sollen die neu formulierten Paragrafen 105 und 106 Strafgesetzbuch (StGB) all jene treffen, die gemeinwohlgefährdend „Entscheidungsprozesse“ der Funktionsträger beeinträchtigen. Vor allem „psychische Belastungen“ geraten für die Strafverfolger in den Blick. Vorsicht also in Zukunft: keine diskreditierenden Wortbeiträge auf Gemeindeversammlungen, keine Protestpostkarten-Aktionen, adressiert an Abgeordnete. Und wie es inzwischen schon Usus in der Präventivgesetzgebung ist: Die zu verfolg ende Handlung muss nicht tatsächlich zur ominösen „psychischen Belastung“ führen. Es reicht, wenn sie dazu „geeignet“ ist, oder wie es im Entwurf heißt, „wenn das Verhalten des Täters einen objektivierbaren Anlass für eine Verhaltensänderung“ bieten kann. Schließlich wollen Funktionsträger in Bund, Ländern und EU nicht gestört werden.

Da wollte sich der Bundesrat, dem der Entwurf zur Stellungnahme zugestellt worden ist, im regierungsoffiziellen Überbietungswettbewerb nicht lumpen lassen. Er schlug vor, man könnte doch fortan schlichtweg jede ungewünschte Annäherung eines kritischen Bürgers an seinen „Volksvertreter“ unter Strafe stellen, in einem neuen Tatbestand Paragraf 106a StGB, der sich mit dem Unterschreiten der „räumlichen Nähe“ beschäftigt – eine persönliche Bannmeile sozusagen.

Die Frage, was man unter der allfälligen Gemeinwohlgefahr durch „subtile und oft diffuse Drohungen“ zu verstehen hat, nervte offensichtlich auch die Juristen der Bundes-Rechtsanwaltskammer, die den von der Verfassung hochgehaltenen Bestimmtheitsgrundsatz von Gesetzen ins Spiel brachten. Der Gesetzentwurf rieche verdächtig nach Symbolpolitik, hieß es. Dennoch soll der Entwurf in den nächsten zwei Wochen im Parlament eingebracht werden.

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"Mein Tanzbereich, dein Tanzbereich", UZ vom 4. Oktober 2024



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